«Dass ich als junge Nationalrätin hier vor Ihnen sitze, verdanke ich den Menschenrechten». Das war mein Einstieg an einem Podium mit jungen Politikerinnen und Politikern am Völkerrechtstag in Bern. Die Veranstaltung Mitte November stand ganz im Zeichen der Jugend. Und entsprechend betonte Bundespräsident Didier Burkhalter – nebst dem Engagement der Schweiz für die Förderung und Entwicklung des Völkerrechtes und der Menschenrechte – besonders die Rolle der Jungen. Stellvertretend dafür rief er das Publikum dazu auf, sich aktiv einzubringen. Auch deshalb unterstützt Burkhalter die Einführung des Stimmrechtsalters 16. Wer will, soll mitbestimmen können.
Was haben Menschenrechte mit mir beziehungsweise mit uns zu tun? Das fragte ich mich vor dem Podium auch. Doch obwohl wir Menschenrechte leicht als selbstverständlich annehmen, sind sie keine Selbstverständlichkeit: Noch meine Grossmutter war mit 30 Jahren von der Politik ausgeschlossen. Davon, als Nationalrätin über ihre Zukunft mitbestimmen zu können, konnte sie nur träumen.
Frauenstimmrecht auch dank EMRK
1963 trat die Schweiz dem Europarat bei und hätte folglich auch die zehn Jahre zuvor in Kraft gesetzte Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnen können. Doch der Bundesrat war dagegen. Gründe dafür: Das fehlende Stimm- und Wahlrecht der Frauen und die religiösen Ausnahmeartikel in der Verfassung. Doch 1968 nahm der Bundesrat einen zweiten Anlauf für die EMRK – aber ohne Frauenstimmrecht. Die Reaktionen darauf waren massiv: Frauenverbände protestierten und machten Druck für eine neue Abstimmung über das Frauenstimmrecht. 1971 billigten die Schweizer uns Schweizerinnen endlich das Recht zu, auf eidgenössischer Ebene mitzuentscheiden. 53 Jahre nach Deutschland, 52 Jahre nach Österreich, 27 Jahre nach Frankreich und 26 Jahre nach Italien. So ging meine Grossmutter auch dank der EMRK mit 37 Jahren erstmals wählen und abstimmen.
Drei Jahre später – am 9. Dezember vor 40 Jahren – war es soweit und die Schweiz schloss sich der EMRK an. Denn inzwischen wurden auch die religiösen Ausnahmeartikel (Verbot der Jesuiten an Schulen und Kirchen; Errichtung neuer oder Wiederherstellung aufgehobener Klöster/religiöser Orden) in einer Volksabstimmung ersatzlos gestrichen. Was uns zeigt: Menschenrechte sind nicht fremde Rechte. Sondern ebenfalls Kern unserer Demokratie.
Aus den Trümmern Europas
Zum 11. Geburtstag meiner Grossmutter war der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Europa lag in Trümmern. Millionen Juden, Roma, Homosexuelle und Angehörige weiterer Minderheiten waren gezielt ermordet worden. Die Weltbevölkerung realisierte, dass der Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür und Gewalt zentral ist. Gerade aus dieser entsetzlichen Erfahrung heraus wurde die Idee der Menschenrechte formuliert.
1949 gründeten zehn westeuropäische Länder den Europarat und unterzeichneten bald darauf die EMRK; 1953 trat sie in Kraft. Seither gelten die Menschenrechte immer und überall. Sie sind auch eine Grundmaxime meines politischen Handelns. Denn die EMRK ist Basis für die Funktion und Legitimation der Schweiz als demokratisches und rechtsstaatliches Land. Für ebendiese Werte ist unser Land weltweit anerkannt und wird geschätzt. Umso unverständlicher, dass die SVP mit ihrer Volksinitiative «Landesrecht vor Völkerrecht» nicht nur die humanitäre Tradition der Schweiz in Frage stellt, sondern auch das, was uns im Innersten zusammenhält. Unsere Energie sollten wir nicht für die destruktive Aushöhlung und Zerstörung der Menschenrechte einsetzen, sondern im Gegenteil für deren Stärkung.
Wert der politischen Bildung
«Warum bereiten die Völker sich immer wieder auf einen neuen Krieg vor? Weshalb werden Bomber, Atom- und Wasserstoffbomben, Tanks, Geschütze und all die mörderischen Waffen mit immer vernichtenderer Stärke hergestellt?» Diese Fragen stammen nicht von mir und auch nicht von 2014. Meine Grossmutter notierte sie vor Jahrzehnten in einem Schulaufsatz zum Thema «Was mir Sorgen bereitet». Als Mädchen gab mir meine Grossmutter eine Kopie des Textes. Dieser berührte mich und ist ein Teil meiner Politisierung. Wie damals lesen und hören wir auch heute noch tagtäglich von Konflikten an den Aussengrenzen Europas und in aller Welt. Frieden ist nicht selbstverständlich. Um das zu realisieren, den Wert der EMRK zu erkennen, Heute und Gestern richtig einzuschätzen, ist politische Bildung zentral. Aller Dissonanzen zum Trotz war das Konsens am Podium des Völkerrechtstages: Wollen wir eine aufgeklärte, engagierte und motivierte Gesellschaft, müssen wir bei den Jungen ansetzen.