Es ist immer das gleiche Spiel: Jedes Mal, wenn jemand es wagt, nur die weibliche Perspektive in den Blick zu nehmen, geht es nicht lange, bis ein Mann sich voller Entrüstung meldet. Dieses Mal war es Andrea Caroni, Nationalrat der FDP, der am 5. Februar in der «Weltwoche» die fehlende Männerperspektive in der Bilanz zur Gleichstellung von Frau und Mann 1999–2014 monierte.

Auf den ersten Blick mag Andrea Caronis Einwand vernünftig erscheinen: Ein Bericht, der im Auftrag des Bundes die Gleichstellung von Mann und Frau in den letzten fünfzehn Jahren untersucht, sollte die Männer nicht aussen vor lassen. Die Geschlechterordnung unserer Kultur und die daraus hervor gehende Ungleichheit betreffen schliesslich alle Geschlechter. Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass der Schwerpunkt des Berichtes durchaus sinnvoll ist. Frauen sind die grossen Verliererinnen der Geschlechterordnung. Das heisst nicht, dass Männer nicht unter dem vorherrschenden System leiden würden – nur: Die Benachteiligung der Frauen ist politisch gesehen um einiges relevanter.

Fakt ist: Frauen wurden über Jahrhunderte hinweg systematisch benachteiligt, ausgebeutet, bedroht und aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Noch heute ist es in vielen Kulturen so, dass Frauen als minderwertig angesehen werden, ihnen Grundrechte verweigert werden und ihr Leben als nicht lebenswert eingestuft wird. Der Text von Andrea Caroni lässt den Eindruck entstehen, dass diese jahrhundertelange, systematische Unterdrückung von Frauen nicht zählt. Für ihn zählen nur die letzten 15 Jahre und die Ungerechtigkeiten, die den Männern in der Schweiz in diesen Jahren widerfahren sind.

Dieser Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter ist sehr eindimensional und greift zu kurz. Das ist ein bisschen wie Rosinenpicken: Das grosse Ganze interessiert nicht, nur das Detail, das dem eigenen Profit dient. Leider lassen sich solche politischen Rosinenpicker insbesondere beim Thema der Gleichstellung finden. Immer wieder gibt es hier insbesondere männliche Stimmen, die sich von Gleichstellungsberichten angegriffen fühlen, die darin nach Ungerechtigkeiten gegenüber Männern suchen, die sich beschweren und aufbegehren, wenn sie Privilegien aufgeben müssen – die sich aber niemals für Frauenrechte einsetzen würden, für die Feminismus ein Schimpfwort ist und die sich auch ganz allgemein nie in gleichstellungspolitische Diskussionen eingemischt haben. Wie passt das zusammen? So funktioniert Gleichstellungspolitik aus meiner Sicht nicht.

Gleichstellungspolitik ist erst dann wirkungsvoll, wenn sie solidarisch und kritisch ist. Das vorherrschende Geschlechtersystem muss verstanden und jeden Tag aufs Neue kritisch beäugt werden; es reicht nicht, ein Schlaglicht auf einen Aspekt dieses Themas zu richten und eine Bilanz zu zerpflücken. Man muss sich fragen: Woher kommen die Ungleichheiten? Wer legt fest, dass Männer mehr wert sind als Frauen? Dass Männer immer noch mehr verdienen als Frauen? Dass ihre Leistung in vielen Arbeitsbereichen immer noch mehr Anerkennung erhält als jene von Frauen?

Unsere Gesellschaft stützt sich – auch heute noch – auf eine patriarchale Sicht: Der Mann beschützt seine Familie und ist für dessen Unterhalt verantwortlich, die Frau bleibt zu Hause und kümmert sich um die Kinder. Unsere Gesellschaft hat sich zum Glück in den letzten Jahren verändert, rechtliche Anpassungen wurden gemacht, Gesetze erarbeitet, trotzdem sind viele Umstellungen immer noch dringend nötig. Besonders im Denken der Leute. Im Kern der Gesellschaft.

Caroni hat Recht, wenn er schreibt, dass Ungleichheiten gegenüber Männern wie der Militärdienst, das Rentenalter oder die Witwenrente zu korrigieren sind. Es ist aber ein Affront, diese Bereiche als erstes zu erwähnen. Das ist einmal mehr Rosinenpicken: Dass Männer Militärdienst leisten müssen, hängt beispielsweise sehr stark mit dem patriarchalen System und der Rolle, die dieses System dem Mann zugesteht, zusammen. Wer hier mehr Gleichheit will, muss das patriarchale System als Ganzes in Frage stellen und nicht nur einzelne Auswirkungen davon.

Zur Bekämpfung solcher Probleme brauchen wir die Männer an unserer Seite. Wir brauchen keine Rosinenpicker, sondern Verbündete. Nehmen wir zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Viele Frauenorganisationen setzen sich für mehr Teilzeitstellen für Männer und eine damit gerechtere Verteilung von Familien- und Arbeitszeit für beide Geschlechter ein. Doch wer macht bei vielen Themen nicht mit? Die Entscheidungsträger – mehrheitlich männlich und mehrheitlich aus der rechten Parteiecke, wozu auch die Partei von Andrea Caroni gehört.

Es braucht viel Initiative und Energie, um Ungleichheiten auszumerzen. Den Männern rate ich deshalb: Emanzipiert euch, engagiert euch, kämpft mit uns, statt gegen uns. Hört auf, Rosinen zu picken. Das gilt auch für Andrea Caroni: Ich habe da einige Ideen, bei denen ich im Nationalrat Unterstützung brauchen könnte. Andrea, ich zähle auf dich.

 

12. Feb 2015