18,9 Prozent beträgt der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau. Den erwerbstätigen Frauen entgehen so rund 700 Franken pro Person und Monat. Insgesamt spart die Wirtschaft damit 7,7 Milliarden Franken pro Jahr unter Verletzung des Gleichstellungsartikels in der Bundesverfassung von 1981. Ungefähr 60 Prozent der Lohnungleichheit kann erklärt werden mit Stellung, Qualifikation und Branche. Der Rest entgeht Frau schlicht aus dem Grund, weil sie eben eine Frau ist.

«Wir verstehen unter der ersten Grundbedingung unserer neuen Verfassung die unbedingte Gleichstellung der Frau in allen sozialen und privatrechtlichen Verhältnissen. Also: Gleiche Ausbildung, gleiche Entlöhnung der Arbeit bei gleicher Leistung, gleiches Erbrecht und gleiches Eigentums- und Verfügungsrecht, totale Unabhängigkeit der Ehefrau vom Ehemann in der Administration ihres eigenen Vermögens und vollkommen gleiches Mutter- wie Vaterrecht bei gleicher Pflichterfüllung gegenüber den Kindern.»

Das Zitat von 1872 (!) stammt von der Berner Patrizierin Julie von May von Rued aus der Broschüre «Die Frauenfrage in der Schweiz zur Bundesrevision am 12. Mai 1872». Sie war über 60jährig, als sie in den Anfängen der organisierten Frauenbewegung zur Association internationale des femmes (AIF) stiess und zu einer ihrer wichtigsten Exponentinnen wurde.

Unglaublich und skandalös, dass 140 Jahre später die Frauen immer noch der Lohndiskriminierung ausgesetzt sind. Das ist eine Demütigung und ein finanzieller Affront gegen die Frauen. Bis 2010 konnten die Einkommensunterschiede zwischen Frau und Mann zwar gesenkt werden; allerdings auf hohe 18,5 Prozent. Seither sind sie aber sogar wieder gestiegen, auf 18,9 Prozent im Jahr 2012 – Tendenz steigend. Den erwerbstätigen Frauen entgehen so rund 700 Franken pro Person und Monat. Insgesamt spart die Wirtschaft damit 7,7 Milliarden Franken pro Jahr unter Verletzung des Gleichstellungsartikels in der Bundesverfassung von 1981. Zum Schaden der Frauen und ihrer Familien, besonders der Kinder!

Ungefähr 60 Prozent der Lohnungleichheit kann erklärt werden mit Stellung, Qualifikation und Branche. Der Rest entgeht Frau schlicht aus dem Grund, weil sie eben eine Frau ist. Frauen arbeiten dreimal häufiger zu Tieflöhnen unter 4000 Franken als Männer und sie sind nur halb so oft in Kaderpositionen angestellt. Und wenn im Kader, dann mit 32 Prozent tieferem Durchschnittslohn als ihre männlichen Kollegen.

Im Alter werden Frauen dann gleich nochmals geschädigt: Mit tieferer Rente!

70 Prozent der Frauen mit Einzelrente erreichen nicht die AHV-Vollrente. Und viele Frauen haben nur kleine oder gar keine BVG-Renten, geschweige denn eine 3. Säule. Solange nicht Lohngleichheit erreicht ist, werden wir die Rentenaltererhöhung für die Frauen mit dem Referendum bodigen. Menschen über 50 finden ohnehin keine Stellen mehr bei den heutigen Arbeitgebenden, die Bewerbungen älterer Menschen postwendend retournieren.

Dass eine Frau die Lohndiskriminierung heute einzeln vor Gericht einklagen muss, stellt eine fast unüberwindbare Hürde dar. Erstens braucht das eine gehörige Portion Mut, und zweitens fehlt in den meisten Betrieben Lohntransparenz. Der Frau fehlt also oft der Beweis. Das Risiko, als Arbeitgeber von einer Angestellten wegen Lohndiskriminierung verklagt zu werden, beträgt 1:12479.

Es braucht deshalb dringend wirksame gesetzliche Massnahmen: Es braucht ein Lohnmonitoring mit verbindlichen Zielvorgaben und Sanktionsmöglichkeiten. Die Betriebe müssen gezwungen werden, festgestellte Lohndiskriminierungen zu beseitigen. Es braucht Lohntransparenz in den Betrieben. Und es braucht eine tripartite Behörde, welche Lohnkontrollen durchführt und griffige Massnahmen anordnen kann. Das verlangen wir vom Bundesrat mit dem Projekt, das Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga verdankenswerterweise in ihrem Departement vorbereitet.

«Frauen, wollt ihr noch 962 Jahre warten?*», fragte alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey in ihrer Eröffnungsrede am WEF 2006 und bezog sich auf eine Berechnung der internationalen Arbeitsorganisation ILO. So lange würde es beim bisherigen Tempo dauern, bis die Frauen gleichberechtigt in den Unternehmen vertreten wären. Ich frage Sie: Wie viele Jahrhunderte wollen wir noch warten, um der gerechten Forderung der Berner Patrizierin von May von Rued von 1872 nachzukommen?

Darum haben wir - Frauen und Männer - an der historischen Kundgebung aller Frauenorganisationen vom 7. März 2015 in Bern gemeinsam gekämpft; für die Erfüllung des Verfassungsauftrags, der nicht verhandelbar ist!

 

* «Frauen, wollt ihr noch 962 Jahre warten? Micheline Calmy-Rey über echte Chancengleichheit», Buch von Yvonne-Denise Köchli (Hg.), Xanthippe Verlag Zürich, ISBN 3 9 522868 93

09. Mär 2015