Ist man gutmütig, kann man von Nebelpetarden reden. Ist man das weniger, waren es brandschwarze Lügen, die die SVP verbreitet hat: Vor der Abstimmung über die Abschottungsinitiative hatte sie beteuert, die Initiative habe keine Auswirkungen auf die Bilateralen Verträge.

Nach der Annahme startete die Umdeutung: Zuerst wurde der Schweizervorrang, der jetzt in der Verfassung steht, kleinlaut uminterpretiert zu einem Inländervorrang. Dann gerieten umgehend die Bilateralen ins Visier der Blocherpartei: Die seien sowieso überbewertet, ein Freihandelsabkommen reiche. Zugleich behaupteten die Initianten, Brüssel sei problemlos zu Eingeständnissen parat, der Bundesrat müsse nur schlau genug verhandeln. Als ob die EU nicht genügend andere Probleme hätte als jenes mit einem Nicht-Mitgliedland. Klar ist sowieso: Egal, welche Kontingente der Bundesrat je vorschlagen wird: Für die SVP werden sie immer zu hoch sein.

Das gleiche Muster bei der Ausschaffungsinitiative: Die SVP behauptete frei erfunden, es würden zu wenige schwerkriminelle Ausländer ausgeschafft. Und rechnete uns vor, es würden künftig jährlich 1500 Menschen ausgeschafft, die allesamt schwerkriminell wären. Nach dem Abstimmungssieg startete umgehend die neue Auslegung; die Zahl verfünfzehnfachte sich kurzerhand, die Ausschaffungs-Delikte wurden um 40 aufgestockt. Aus der Durchsetzungs- wurde eine Verschärfungsinitiative, während Parteiexponenten weiterhin Nebelpetarden werfen und behaupten, es gehe da um Kölner Fälle – Bagatellen würden nicht erfasst. Was schlicht nicht stimmt, denn die Ausschaffungen gelten unabhängig vom Strafmass und der Schwere  des Verschuldens.

Auch die Secondo-Nebelpetarden gehören in die Ablenkungsstrategie. So, wie die Behauptung eines alt Bundesrates, auch die USA würden Secondos aus dem Land werfen. Was nicht stimmt, da dort Geborene automatisch US-Staatsangehörige werden. Ähnlich absurd die Behauptung, mit der Durchsetzungsinitiative entstünde keine Zwei-Klassen-Justiz: Schon heute könnten Ausschaffungen nur Ausländer treffen. Genau darin liegt ja die Ungeheuerlichkeit: Kein Schweizer wird für einen jugendlichen Ladendiebstahl und späteren Hausfriedensbruch mit Sachschaden verbannt, was im Mittelalter neben der Hinrichtung die Höchststrafe war. Klar ist: jede und jeder muss sich an unsere Hausordnung halten. Ebenso klar war bisher: alle sind vor dem Gesetz gleich.

Nimmt man alles zusammen, was die SVP bisher angerichtet hat, dann befindet sich die Schweiz auf dem Weg zu einer Apartheid-Gesellschaft: Auch wer hier geboren ist und keinen Schweizerpass besitzt und mit dem Gesetz (oder einer Sozialversicherung) in Konflikt gerät, soll aus dem Land fliegen. Alle hiesigen Ausländer hätten permanent das Damoklesschwert der Ausschaffung über sich. Würde sich einer provozieren lassen und endete das in einem Rauferei, würde er postwendend ausgeschafft. Wer das nicht riskieren will, muss sich zusammenschlagen lassen.

Motto: Das Herrenvolk der Schweizer hat’s gegeben, das Herrenvolk der Schweizer hat’s genommen.

Egal, ob die Apartheid-Initiative abgelehnt oder angenommen wird, die Attacke auf Gerichte und Richter läuft schon. Man wird ihnen vorwerfen, dass sie das Non-Refoulement Prinzip einhalten. Dann sind wir bei den Menschenrechten. Die Initiative zu deren Abschaffung läuft schon. Was kommt dann? Armbinden für Flüchtlinge? Sie müssten ja nicht gelb sein, Edelweissmotive täten’s  sicher auch.

Hirngespinste? Nein. Was wir erleben, ist die Entwicklung zu einer moralischen und rechtlichen Verrohung, die sich um jede Verhältnismässigkeit foutiert und nur noch eine Differenzierung kennt, nämlich die Unterteilung der hier lebenden Menschen in zwei Gruppen – von denen nur eine zum auserwählten Volk gehört.

 

Zuerst erschienen in der Zeit vom 14.1.16

21. Jan 2016