Alle Jahre wieder: Das Film Festival Locarno läuft und die Medien diskutieren die Frage, welche der unzähligen Einladungen auf und neben der Piazza ein Parlamentsmitglied annehmen darf. Was diesmal anders ist: Das Filmfestival stellt sich hinter die Forderung nach eindeutigen Spielregeln.

Jedenfalls likte der offizielle Twitter-Kanal folgenden Tweet von Transparency International: „(…) problematische Lobby-Einladungen (z.B. ans Film Festival Locarno) zeigen, dass es klarere und verbindliche Regeln für das Parlament braucht“. Zunächst freut es mich, dass die Veranstalter des wunderbaren Anlasses erkennen, wie die fehlenden Regeln im Umgang mit teilweise exquisiten Geschenken in erster Linie „Locarno“ in Verruf bringen. Zeit also für eine transparente Lobby-Initiative des umtriebigen Festival-Präsidenten Marco Solari im Bundeshaus! Denn bisher sind leider auch noch so kleine Verbesserungsvorschläge stets gescheitert. Mehr Transparenz und Fakten statt Behauptungen, Vermutungen und teils undifferenzierte Berichte wie am 4. August in der „NZZ am Sonntag“ dienen nämlich allen.

Worum es nicht geht: Wir wollen kein Verbot von Lobbying. Wo also liegt das Problem? Die Post beispielsweise spendiert ein gemeinsames Abendessen und bei Bedarf ein Hotelzimmer. Die SBB lässt es eingeladenen Parlamentarierinnen und Parlamentariern offen, ob sie sich ein Rückreisebillett oder eine Hotelübernachtung schenken lassen wollen. Auch Swisslos zahlt auf Wunsch das Hotel.

Was sozial und engagiert tönt, hat jedoch mehr als nur einen schalen Beigeschmack: Es ist das Parlament, das ebendiese Betriebe beaufsichtigt. Fragt sich: Wo beginnt ein Abhängigkeitsverhältnis? Wer schon einmal während des Festivals in Locarno übernachtet hat, kennt die Hotelpreise (sofern Zimmer überhaupt noch verfügbar sind). Da ist die Verlockung gross, eine Einladung anzunehmen. Doch der Schaden ist nicht bezifferbar – weder für den Image-Verlust der Politik noch jenen des Festivals.

Empfehlungen reichen nicht

Die Politik versprach schon mehrfach, sich dem Problem anzunehmen. So forderte zuletzt das Büro des Nationalrates „eine umfassende Auseinandersetzung über Lobbyismus, Zugang von Interessenvertretern zum Parlamentsgebäude und Transparenzregeln“. Was davon übrig blieb? Nichts.

Eben erst wehrte sich die Mehrheit im Nationalrat bei der Parlamentsgesetzgebung dagegen, dass nur schon Einladungen von „schweizerischen, ausländischen oder internationalen Behörden oder Interessengruppen“ transparent gemacht werden sollen. Darunter fielen auch Hotelübernachtungen in Locarno. Aber auch Einladungen nach Kasachstan, Taiwan oder sogenannte Informationsreisen der Nagra nach Deutschland, Finnland oder Schweden. Apropos Nagra: Seit Jahren werden Parlamentsmitglieder gratis zu deren Reisen im Wert von 1500 Franken (Eigendeklaration) eingeladen. Nach einer anonymen Anzeige ermittelt die Bundesanwaltschaft. Die Nagra hat die Reisen vorerst sistiert.

Für Bürgerinnen und Bürger sowie die Medien ist es entscheidend zu wissen, ob Parlamentsmitglieder nur ins Kino, zum Apéro oder Znacht gehen, oder ob sie sich auch noch das Hotel oder eine Reise bezahlen lassen. Denn vielleicht beraten diese kurz darauf Gesetze, welche die Einladenden betreffen. Nur mit Transparenz wird klar, wo allenfalls Abhängigkeiten entstehen.

Vertrauen in Politik stärken

Dass es in der aktuellen Situation gerade auch Einladenden nicht wohl ist, zeigt das Beispiel SBB. So schieben die Bundesbahnen die Verantwortung neu wohlweislich an ihre Gäste ab, indem diese bei der Anmeldung entscheiden müssen, zu was sie sich einladen lassen.

Einziges Hilfsmittel zur Entscheidfindung für Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind dabei zur Zeit unverbindliche Empfehlungen des Büros des Nationalrates: "Eine Einladung einer schweizerischen oder internationalen Interessenorganisation zu einer Informationsreise kann angenommen werden, sofern die Ratsmitglieder die Reisekosten selber bezahlen. Die Unabhängigkeit der Ratsmitglieder ist auch dann gewahrt, wenn die Ratsmitglieder im Rahmen solcher Reisen zu Veranstaltungen (zum Beispiel Essen oder Apéros) eingeladen werden."

Unverständlich, dass sich Ratsmitglieder da noch ein Hotel zahlen lassen. Von grösseren Geschenken oder Reisen gar nicht zu reden. Dumm nur, dass deswegen all jene Politikerinnen und Politiker, die ihre Hotels selber bezahlen, unter Generalverdacht geraten. Im bereits erwähnten „NZZ am Sonntag“-Artikel etwa war mein Fraktionskollege Matthias Aebischer auf dem Foto zu sehen. Nach negativen Rückmeldungen musste der jahrzehntelange Festival-Besucher auf Twitter klarstellen: „Ich bezahle und bezahlte mein Hotel in Locarno immer selber.“ Eine Präzisierung im Parlamentsgesetz würde auf einfache Weise für alle Klarheit schaffen und Missverständnissen sowie Neid und Missgunst vorbeugen. Alles Voraussetzungen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik und das Lobbying zu stärken.

Locarno ist überall

Klar, auch während der Sessionen in Bern gibt es allerhand Einladungen zu Apéros, Mittag- oder Abendessen. Auch das will niemand verbieten! Eine fatale Folge ist es jedoch, wenn Parlamentsmitglieder – um nicht in Verruf zu geraten – das Film Festival Locarno oder andere Anlässe bereits meiden. Denn Lobbying ist nichts Schlechtes, sondern gehört zur Politik. Und das Filmfestival, wie zahlreiche andere Kultur- und Sportveranstalter auch, ist auf Einnahmen aus dem Sponsoring angewiesen.

Fazit: Klare und transparente Regeln dienen allen – dem Filmfestival, den bundesnahen Betrieben und Lobby-Verbänden wie auch all den Parlamentsmitgliedern, die seit Jahren nach Locarno reisen und ihre Übernachtung aus der eigenen Tasche bezahlen. In diesem Sinne freue ich mich, Marco Solari bald im Bundeshaus anzutreffen, um dank seinen guten Beziehungen im nächsten Anlauf im Parlament doch noch eine Mehrheit für mehr Transparenz und klare Regeln im Lobbying zu erhalten.

10. Aug 2018