Jede Volksinitiative errichtet eine Art Unterscheidung zwischen der Vergangenheit, das heisst dem status quo, und der Zukunft, abgebildet im Vorschlag, über den an der Urne entschieden wird. Es überrascht daher wenig, dass Abstimmungskampagnen Raum bieten für weitläufige Diskussionen, in denen oftmals der Konflikt zwischen althergebracht und modern ausgetragen wird.
Wie keine andere Initiative entspricht No Billag diesem Schema. Sie scheint auf exemplarische Weise den Bruch zwischen den Medien von früher und der Kommunikation von morgen aufzuzeigen. Den Initiantinnen und Initianten ist es gelungen, die Illusion einer Zweiteilung zu schaffen: einerseits sie selber, die Zukunftsorientierten, und andererseits die Verteidigerinnen und Verteidiger des Service Public als Nostalgikerinnen und Nostalgiker einer vergangenen Epoche.
Auf den ersten Blick könnte man die No Billag-Verantwortlichen der Moderne zuordnen. Sie sind jung, neuen Technologien zugewandt und davon überzeugt, dass Radio und TV für die Mehrheit nicht mehr von Interesse ist. Sie meinen, der Staat solle sich aus den Medien heraushalten. Ihr heiliger Gral ist der individuelle Erfolg innerhalb einer vollends deregulierten Gesellschaft. Sie sind beseelt von der Idee, dass die Bürgerin und der Bürger von Morgen nur noch genau für das bezahlen, was sie oder er auch konsumieren. Demgegenüber scheinen die Unterstützer der SRG die Welt von gestern zu verteidigen, gegängelt vom Staat, unfähig, an den laufenden Entwicklungen teilzunehmen und darum bemüht, einen sterbenden Dinosaurier so lange wie möglich am Tropf zu lassen.
Diese Darstellung soll jedoch hinterfragt werden. Aus zwei Gründen kann man die No Billag-Verantwortlichen vielmehr als Junge, die im Kopf schon alt sind, entlarven. Zuerst einmal ist ihre Begeisterung für die Märkte mittlerweile ein Griff in die Mottenkiste. «Die Gesellschaft existiert nicht», hat Margareth Thatcher bereits vor 30 Jahren gepredigt. Wer aber glaubt heute noch daran, dass man ein Land bloss auf eine Ansammlung von Individuen reduzieren kann, die untereinander ständig und nur im ökonomischen Wettkampf sind und nur so glücklich werden können? Wer bestreitet die Notwendigkeit, die Gesellschaft als komplexes Geflecht von Beziehungen und Strukturen zu denken, das zu jeder Zeit individuelle Verantwortung und gemeinschaftliche Leistungen vereint? Selbst in einer sehr liberalen Sichtweise der Demokratie erscheint die Vorstellung einer komplett privatisierten SRG, wie das die Initiative will, komplett überholt.
Auf der anderen Seite leben heute die Bürgerinnen und Bürger mit dem Finger auf ihren Smartphones, dauervernetzt in den sogenannt sozialen Medien. Sie erzeugen und konsumieren eine unendliche Menge von ungefilterten, direkt zugänglichen Emotionen, ohne Vermittlung und ohne Einbettung. Die Herrschaft dieses wuchtigen Phänomens ist mittlerweile fest etabliert. Es ist unaufhaltsam und es besteht keine Notwendigkeit, diese Entwicklung zu beschleunigen. Vielmehr müssen die bestehenden Gegengewichte gestärkt und neue ins Leben gerufen werden, um die Qualität der Information zu gewährleisten.
Anders gesagt, die Anhängerinnen und Anhänger von No Billag kämpfen für Schnee von gestern. Die künftige Herausforderung für unsere Demokratie besteht nicht darin, die Strukturen der klassischen Meinungsbildung niederzureissen. Vielmehr geht es darum, die Qualität der Informationen und die gesellschaftliche Integration in einem chaotischen digitalen Wirbel aufrechtzuerhalten. Auch die individualistische Perspektive – ich bezahle nur das, was ich konsumiere – beruht auf einer irrigen Annahme: Selbst jemand, der nie eine SRG-Sendung sieht oder hört, profitiert in Wahrheit davon. Ökonominnen und Ökonomen sprechen von positiven Externalitäten. Das geschieht beispielsweise, wenn jemand zufällig ein Video des Schweizer Fernsehens auf Facebook schaut, ein Festival besucht oder von der Wirkung einer öffentlichen Debatte von hoher Qualität profitiert.
So gesehen ist die SRG keineswegs ein alter Zopf, sondern eine zukunftsgerichtete Institution. In ständig erneuerten Angeboten muss sie eine Schlüsselrolle einnehmen, um einen Ausgleich zwischen frei verfügbaren Sensationsmeldungen im Netz und dem guten Funktionieren der Schweizer Demokratie zu schaffen. Weiter darf auch die gedruckte Presse künftig nicht einfach einem zunehmend auf Kommerz ausgerichteten düsteren Schicksal überlassen werden. Vielmehr müssen Wege für deren ausreichende Finanzierung gesucht werden, die ihr Überleben sichern und dabei die Unabhängigkeit gewährleisten.
In der aktuellen No Billag-Kampagne muss man dem äusseren Anschein misstrauen. Im Lager der Gegnerinnen und Gegner der Initiative finden sich mit Sicherheit mehr vorwärts gewandte Kräfte als bei den Totengräbern des medialen Service Public. Ist ihr Lack dereinst ab, erweisen sich Letztere kaum als Visionäre, sondern vielmehr als Ideologen aus einer fernen Vergangenheit.
erschienen in Le Temps am 19. Januar 2018