„Gleiche Chancen, gleiche Rechte: Eine demokratische Türkei für alle“ – so lautet der Titel einer grossen Konferenz, die am 11. September 2019 auf Einladung der SP Nationalräte Carlo Sommaruga (Genf) und Fabian Molina (Zürich) im Bundeshaus in Bern stattfand. Wichtiges Ziel war, zum Dialog zwischen den beiden türkischen Oppositionsparteien HDP und CHP beizutragen. Diese können Wahlen gewinnen, wenn sie zusammenarbeiten: das zeigte jüngst die Wahl des neuen Oberbürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu. Die Konferenzteilnehmenden riefen die Schweiz auf, sich deutlich mehr als in der Vergangenheit für ein Ende der Gewalt und die Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in der Türkei einzusetzen. „Politische Konflikte müssen durch Dialog und lösungsorientierte Verhandlungen und nicht durch Gewalt gelöst werden“, betonte SP Nationalrat Fabian Molina. „Die Schweiz muss sich da aktiver als bisher einbringen.“
Hauptredner waren der Ehrenpräsident der kurdisch geprägten Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ertuğrul Kürkçü, und der stellvertretende Vorsitzende der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Yildirim Kaya. Beide sprachen von einem „Staatsstreich von oben“, der seit Jahren von der seit 2002 regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) unter dem heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Gang ist. Sie betonten, dass Europa versagt und sich wegen der Flüchtlingsfrage erpressbar gemacht hat. „Die Türkei will nach Europa. Dafür brauchen wir Eure Unterstützung. Europa darf nicht länger zur Repression in der Türkei schweigen“, sagten Kaya und Kürkçü.
In scharfen Worten kritisierten alle Redner und Rednerinnen die Absetzung der gewählten Bürgermeister/in der HDP von Diyarbakır, Mardin und Van durch den türkischen Innenminister am 19. August, sowie die rein politisch motivierte Verurteilung der CHP-Vorsitzenden von Istanbul, Canan Kaftancıoğlu, zu über neun Jahren Haft aufgrund einer blossen Twitter-Meldung. „Sie brauchen jetzt unsere Solidarität. Die Schweizer Aussenpolitik muss endlich öffentlich intervenieren und die Respektierung demokratischer Wahlen und der Menschenrechte in der Türkei einfordern“, erklärte SP Nationalrat Carlo Sommaruga.
Lami Özgen, der ehemalige Präsident des Gewerkschaftsbundes öffentlicher Dienst (KESK) in der Türkei und seit einem Jahr anerkannter Flüchtling in der Schweiz, erklärte: „Die Lösung des kurdischen Problems ist Voraussetzung für eine Lösung der Probleme von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Minderheitenrechten in der gesamten Türkei. Das kurdische Problem ist kein ethnisches oder Minderheitenproblem, sondern ein gesamttürkisches Problem. Die KurdInnen wollen eine Lösung innerhalb des türkischen Staats. Dies betrifft auch die Wirtschaft: Um von innenpolitischen Problemen abzulenken, haben türkische Regierungen immer wieder den kurdischen Konflikt gewaltsam angeheizt, und so insgesamt die Organisationsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Arbeitssicherheit und Lohnentwicklung behindert.“ Diesem Votum schloss sich auch Yurdusev Özsökmenler, ehemalige Abgeordnete der HDP und frühere Mitarbeiterin in der KESK an. „Zentral ist zudem die Vertretung der Frauen. Diese ist in der Türkei und in der Schweiz viel zu tief“, betonte Özsökmenler. Auch sie ist Flüchtling und lebt heute in der Schweiz.
Mustafa Atici, Nationalratskandidat aus Basel, betonte als Präsident der SP-MigrantInnen Schweiz die Bedeutung der Partizipation und der Zusammenarbeit auch in der Schweiz. „Wir stehen überall für gleiche Chancen und gleiche Rechte ein. Wir wollen auch hierzulande eine Schweiz für alle statt nur wenige. Wir wollen eine inklusive Gesellschaft, welche die kulturelle und religiöse Vielfalt der Menschen respektiert. Umso wichtiger ist es, dass wir an der Politik teilnehmen, uns informieren und aktiv einbringen. Nur so können wir den dringend erforderlichen Richtungswechsel auch in der Schweiz erreichen.“