Dieser Tage wurde der Schweizer Bildungsbericht 2018 veröffentlicht. Dieses umfassende Werk beschreibt im Auftrag von Bund und Kantonen das Schweizer Bildungswesen. Alle Aussagen werden mit wissenschaftlichen Fakten und Zahlen dokumentiert. Das Monitoring liefert wertvolle, faktenbasierte Erkenntnisse für die Bildungspolitik. Leider bleiben systemische Schwachstellen des Schweizer Bildungswesens unangetastet. Die frühe Förderung und die Erwachsenenbildung sind zwei dieser blinden Flecken.

Der Bildungsbericht beginnt mit der obligatorischen Schulstufe. Die Zeit davor, die frühe Kindheit, ist nur eine Randbemerkung wert. Das Bildungswesen Schweiz beginnt erst mit dem Kindergarten, ein grosser Fehler. Obwohl die ersten Lebensjahre für die Entwicklung entscheidend sind, bleibt die Zeit vor dem Kindergarten aus bildungspolitischer Sicht ein unbestellter Acker. Als Folge beginnen viele Kinder ihre obligatorische Schulzeit bereits mit einem Defizit. Sie können diesen Nachteil während ihrer ganzen Schulkarriere nicht mehr aufholen. Der Bildungsbericht deckt mit harten Fakten die mangelnde Chancengerechtigkeit anhand des Sekundarschulabschlusses II auf. Ziel wäre es, dass 95 Prozent aller Jugendlichen einen Berufs- oder Mittelschulabschluss erlangen. Von Jugendlichen mit Schweizer Nationalität wird dieses Ziel erreicht. Jugendliche mit Migrationshintergrund verfehlen das Ziel aber deutlich, selbst wenn sie in der Schweiz geboren sind.

Würden Kitas für alle Kinder zugänglich gemacht, könnte das Problem an der Wurzel gepackt werden. Frühe Förderung bedeutet nicht Frühchinesisch für privilegierte Kinder. Frühe Förderung heisst natürliche Lernwelten schaffen, die eine altersgerechte Entwicklung vom Spracherwerb bis zur Sozialkompetenz ermöglichen. Mit zwei Tagen Kita pro Woche, könnten Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozialschwachen Familien frühzeitig gefördert werden. Diesen Kindern bleibt die Kita oft aus Kostengründen verschlossen. Ist ein Elternteil nicht erwerbstätig, entfällt das Anrecht auf einen subventionierten Krippenplatz. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Investitionen von Gemeinden und Kantonen in die frühe Förderung von Kindern zahlen sich mehrfach aus. Mit teurer Sonderpädagogik muss später geflickt werden, was vor dem Schuleintritt verbummelt wird. Benachteiligte Kinder müssen früh gefördert werden, damit sie nicht um ihre Chancengerechtigkeit geprellt werden.

Der zweite blinde Fleck ist die Erwachsenenbildung. Der Bildungsbericht zeigt den grossen Förderbedarf bei unterqualifizierten Personen auf. Diesen Erwachsenen muss der Zugang zu einer Nachholbildung ermöglicht werden. Der Bildungsbericht geht nicht darauf ein, dass taugliche Angebote um formale Abschlüsse im Erwachsenenalter nachzuholen weitgehend fehlen. Die klassische Lehre ist für Jugendliche ein hervorragender Einstieg ins Berufsleben. Für Erwachsene, die sich neu qualifizieren, taugt sie nur bedingt. Erwachsene stehen mitten im Leben, haben familiäre Verpflichtungen und besitzen bereits einen beruflichen Erfahrungsschatz. Um eine Ausbildung mit eidgenössischem Ausweis absolvieren zu können, müssen Vorleistungen validiert, Ausbildungsgänge flexibilisiert und modularisiert werden. Bund, Kantone und Arbeitgeber stehen in der Pflicht Ausbildungsangebote aufzubauen, die den besonderen Lebensumständen von Erwachsenen Rechnung tragen. Chancengerechtigkeit erfordert neue Ausbildungsmodelle für ältere und weniger qualifizierte Arbeitnehmende.

22. Jun 2018