Die Schweiz ist ein stark exportorientiertes Land. Jeder zweite Franken wird im Ausland verdient. In die EU gehen fast 60 Prozent der Ausfuhren. Umso zentraler ist der Euro-Franken-Kurs für die Wirtschaft. Um die Jahreswende 2010/2011 herum hatte sich der Franken zum Euro in Richtung Parität bewegt. Das hatte die Industrie, exportorientierte Branchen und den Tourismus stark unter Druck gesetzt. Es war die SP, die als erste und lange Zeit auch als einzige Partei von der SNB und vom Bundesrat die Festlegung eines Mindestkurses zum Euro verlangt hatte. Die SVP hatte sich explizit dagegen ausgesprochen. Denkwürdig war die dringliche Debatte in der Sommersession 2011, an der die Stimmung kehrte.
Hildebrand führte 2011 den Mindestkurs ein
Am 6. September 2011 fiel noch unter SNB-Präsident Philipp Hildebrand der Entscheid zur Einführung eines Mindestkurses. Die damalige Begründung der SNB war klar und richtig:
«Die gegenwärtig massive Überbewertung des Schweizer Frankens stellt eine akute Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft dar und birgt das Risiko einer deflationären Entwicklung. Die Schweizerische Nationalbank strebt daher eine deutliche und dauerhafte Abschwächung des Frankens an. Sie toleriert am Devisenmarkt ab sofort keinen Euro-Franken-Kurs unter dem Mindestkurs von 1.20. Die Nationalbank wird den Mindestkurs mit aller Konsequenz durchsetzen und ist bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen. Der Franken ist auch bei 1.20 pro Euro hoch bewertet ...»
Ein Segen für die Wirtschaft
So weit, so gut. Der Mindestkurs hatte sich für die Wirtschaft als Segen erwiesen, obwohl er auch mit 1.20 noch weit von der Kaufkraftparität entfernt war. Er brachte stabile Verhältnisse und Rechtssicherheit – zentrale Werte für eine funktionierende Wirtschaft.
Am 18. April 2012 wurde nach dem erzwungenen Rücktritt von Philipp Hildebrand Thomas Jordan zum SNB-Präsidenten gewählt. Er erhielt viel Lob («alle lieben Jordan»). Einzig Ruedi Strahm warnte vor der Unberechenbarkeit des Monetaristen. Das Direktorium war nun mit Vize Jean-Pierre Danthine, der vor der Pensionierung steht, und Fritz Zurbrügg wieder komplett.
Nachfolger Thomas Jordan führt alle in die Irre
Mehrfach bekräftigte der neue SNB-Chef, am Mindestkurs festhalten zu wollen. Noch am 5. Januar 2015 erklärte Thomas Jordan am Fernsehen SRF: Der vor mehr als drei Jahren festgesetzte Euro-Kursuntergrenze von 1,20 Franken sei weiterhin unverzichtbar. «Der Mindestkurs ist absolut zentral, um eben adäquate, richtige monetäre Bedingungen für die Schweiz aufrechtzuerhalten. (…) Die Deflationsrisiken, die haben deutlich zugenommen. Eine Aufwertung des Frankens würde zwangsläufig zu mehr negativer Inflation führen oder eben sogar zu Deflation».
Der Schock vom 15. Januar 2015
Umso grösser der Schock 11 Tage später: Die Schweizerische Nationalbank hebt den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro unerwartet auf. Zugleich senkt sie den Zins für Guthaben auf den Girokonten, die einen bestimmten Freibetrag übersteigen, um 0,5 Prozentpunkte auf −0,75%. Das Zielband für den Dreimonats-Libor verschiebt sie weiter in den negativen Bereich auf –1,25% bis −0,25% von bisher −0,75% bis 0,25%. Die SNB dazu in einer Mittelung: «Der Mindestkurs wurde in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und grösster Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt. Diese ausserordentliche und temporäre Massnahme hat die Schweizer Wirtschaft vor schwerem Schaden bewahrt. Der Franken bleibt zwar hoch bewertet, aber die Überbewertung hat sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert. Die Wirtschaft konnte diese Phase nutzen, um sich auf die neue Situation einzustellen».
Zur für die betroffene Wirtschaft zynisch anmutenden Begründung ist festzustellen:
- Es bestand weder eine Not, noch gab es wirtschaftliche Kriterien für die Aufhebung des Mindestkurses gerade zum jetzigen Zeitpunkt.
- Nach Art. 5 des SNB Gesetzes muss die SNB die Preisstabilität beachten und die wirtschaftliche Entwicklung. Nun drohen sogar Rezession und Deflation.
- Die SNB hat offenbar im Alleingang gehandelt und den Bundesrat nicht vorgängig über seine Absichten orientiert, wie es Art. 7 Abs. 1 des SNB-Gesetzes vorsieht. Die Finanzministerin und der Volkswirtschaftsminister wurden offenbar erst am Tag des Entscheids sehr kurzfristig informiert, obwohl am Vortag eine Bundesratssitzung stattgefunden hatte.
- Die SNB hat auch die internationalen Gremien wie den IWF nicht orientiert und sich damit auch international isoliert.
Ohne Not ist die SNB dem Druck der Spekulanten an den Finanzmärkten erlegen. Sie kam und kommt damit auch den ideologischen Euro-Kritikern wie der SVP entgegen. Dies im dümmsten Moment ohne wirtschaftliche Rechtfertigung und obwohl die SNB dank des Mindestkurses 2014 einen Jahresgewinn von 36 Mrd. Fr. ausgewiesen hat. Ein einsamer Entscheid vom Schreibtisch im warmen Büro aus gefällt.
Hayek: Tsunami für die Wirtschaft
Der Entscheid hat gravierende wirtschaftliche Folgen für die Schweizer Wirtschaft, den Werkplatz Schweiz, den Tourismusstandort, für die Unternehmen und die Lohnabhängigen. Unternehmen stoppen ihre Investitionen. Unternehmen verfügen Personalstopps. Viele denken daran, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlegen. Nicolas Hayek hat es richtig gesagt: Es ist ein Tsunami für die Volkswirtschaft.
Heiner Flassbeck: Erklärung der SNB mehr als unbefriedigend
Auch international gab es nur Kopfschütteln. Der Ökonom Heiner Flassbeck, 1998 bis 1999 Staatssekretär im deutschen Finanzministerium und 2003 bis 2012 Chef-Volkswirt bei der Unctad:
«Warum tut die Notenbank ohne Not einen solch riskanten Schritt? Die üblicherweise angebotenen Erklärungen sind mehr als unbefriedigend. So sagte der Chefökonom der Schweizer Bank Julius Bär zur Entscheidung der SNB laut Handelsblatt: „Die Notenbank musste seit Jahresbeginn offenbar ständig intervenieren, das wurde ihr vermutlich zu teuer.“ An solchen Interventionen ist für eine Notenbank aber nichts teuer. Sie verwandelt bei ihren Interventionen – bei denen sie mit Schweizer Franken Euros am Devisenmarkt kauft, um den Kurs des Euro zu stärken – von ihr generierte Franken (man kann auch gedruckte Franken sagen) in Euros, die sie dann in europäischen Wertpapieren anlegt. Die Kosten der Aktion liegen ganz nahe bei null, das Risiko ebenfalls, denn das Schlimmste, was passieren kann, ist ein Ausfall der Europapiere. (…) Da der Kauf dieser Papiere die Notenbank de facto nichts gekostet hat – sie hat ja mit Geld bezahlt, das aus dem Nichts geschaffen wurde –, ist selbst der Totalausfall belanglos. Wenn ich etwas verliere, für das ich nichts bezahlt habe, habe ich auch nichts verloren, was mich in meiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigen würde».
Es gibt keinen wirtschaftspolitischen Ersatz für den Mindestkurs
Es gibt kein wirtschaftspolitisches Instrument, das den Mindestkurs einfach so ersetzen könnte. Das gilt auch für wachstumsfördernde Massnahmen, die Bundesrat Schneider-Ammann in einem Bericht zu meinem Postulat 13.3907 am vergangenen Mittwoch (21.1.2015) präsentiert hat. Der Mindestkurs hat Rechtssicherheit und stabile Rahmenbedingungen geschaffen – für die Wirtschaft zentrale Faktoren. Bundesrätin Widmer-Schlumpf hat nun faktisch einen zu erreichenden Mindestkurs von 1.10 verlangt. Richtigerweise müssen es mindestens 1.15 Fr. sein. Das Problem dabei ist: Dazu brauchen wir eine glaubwürdige Nationalbank. Das SNB-Direktorium hat aber seine Glaubwürdigkeit verloren.
Ein Entscheid in Richtung EURO?
Das Paradoxe an der Situation: Entweder lösen wir die durch die SNB ausgelöste Krise durch die faktische Wiedereinführung eines Mindestkurses des Euros zum Franken in welcher Form auch immer. Oder viele werden sich schliesslich überlegen, ob wir nicht früher oder später den Euro übernehmen müssen. Die deutsche Exportwirtschaft profitiert heute vom tiefen Eurokurs. Wenn die Schweiz nicht in der Lage ist, das Problem des Schweizer Frankens zu lösen, hat der Entscheid der Nationalbank den langfristigen Beitritt der Schweiz zur EU eingeläutet.
SVP – das grösste Standortrisiko der Schweiz
Die SVP applaudierte der Nationalbank und fordert, dass man nach dem SNB-Entscheid nun die Personenfreizügigkeit aufkündigen müsse. Thomas Jordan hat offenbar nicht gemerkt, wem er politisch in die Hände spielt. Die SVP ist wirtschaftlich das grösste Standortrisiko der Schweiz. Unternehmen und Gewerkschaften müssen gemeinsam mit der linken und der politischen Mitte diese Irrläufer stoppen.
Wenn wir eine tiefe Krise vermeiden wollen, braucht es jetzt eine Reihe von Massnahmen:
- Die Schweiz braucht einen Franken-Kurs zum Euro, der mindestens bei 1.15 Franken liegen muss. Es ist an der Nationalbank, dies mit allen Mitteln durchzusetzen. Die SNB-Spitze wird daran gemessen werden, ob sie nach dem unnötigen Tsunami die Situation wieder unter Kontrolle bringt.
- Parallel dazu braucht es im Binnenmarkt eine wirtschaftliche Erneuerung. Unter anderem mit der Revision des Kartellgesetzes und der Senkung der Schutzzölle für die landwirtschaftliche Produkte auf EU-Niveau. Davon profitieren die Konsumentinnen und Konsumenten.
- Keine Option sind Deregulierungs- und Steuersenkungsforderungen im Rahmen der USR III. Sie schwächen die Nachfrage, statt sie zu stützen.
- Es muss alles vorgekehrt werden, damit nicht die Lohnabhängigen die Folgen dieses SNB-Entscheids tragen müssen.
- Im Sommer 2011 forderte die SP die Vorbereitung eines Fonds von 2 Mrd. Franken für exportabhängige Unternehmen. Das wäre zumindest ins Auge zu fassen. Weiter vorzubereiten ist eine Verlängerung der Bezugsdauer für Kurzarbeitsentschädigung, der Arbeitslosenentschädigung in exponierten Grenzregionen und mehr Kündigungsschutz der älteren Arbeitnehmenden über 50 Jahre. Die Finanzierung hätte via SNB zu erfolgen.
- Inskünftig braucht es mehr Transparenz der SNB und eine breitere Abstützung der monetären Entscheide von derart grosser Tragweite.
Der Mindestkurs war während der letzten dreieinhalb Jahre ein Erfolg. Bevor er eingeführt wurde, betrachteten fast alle die SP-Forderung als illusionär. Das ist heute nicht anders. Es braucht ein breites Bündnis dafür. Sowohl die Gewerkschaften wie die Unternehmen und alle Parteien der Linken und der politischen Mitte haben ein mehr als grosses gemeinsames Interesse daran.