Wir sind als SP dann stark und glaubwürdig, wenn wir zu unseren Überzeugungen stehen und entgegen der aktuellen Mehrheitsmeinung ein Bild zu zeichnen wagen, wie unser Zusammenleben sonst noch aussehen könnte. Das ist eine Gesellschaft, die die Menschen nicht nach ihrem Pass oder Portemonnaie beurteilt, sondern als gleichwertig akzeptiert.

Nach der Wahl von Donald Trump war wieder oft zu lesen, die Linke hätte vor lauter Cüpli-Trinken den Blick für «die Ängste des Volkes» verloren. Abgesehen davon, dass ich Wein dem Cüpli vorziehe und «das Volk» vielfältiger ist als eine Gruppe weisser, verärgerter Männer: Der Vorwurf sagt viel darüber aus, wie Politik heute oft verstanden wird.

Es ist eine Politik, die ihr Handeln von Sorgenbarometern und Online-Kommentaren ableitet und diese als unumstössliches Naturgesetz hinnimmt. Wie gefährlich es ist, unser Denken und damit auch unsere Gestaltungsmacht derart einzuschränken, brachte Margret Thatcher auf den Punkt. Als die ehemalige britische Premierministerin einst nach ihrem grössten Erfolg gefragt wurde, antwortete sie: «Tony Blair and New Labour. We forced our opponents to change their minds.»

Thatcher hatte erreicht, dass ihre neoliberalen Grundsätze auch von der Labour Party als allgemeingültige Wahrheit akzeptiert wurden, die den Rahmen für das politische Wirken vorgaben. Eine solche Politik äussert sich beispielsweise in der heutigen Sozialpolitik, die Arbeitslosigkeit in erster Linie als individuelles Versagen ansieht, dem mit mehr persönlichem Arbeitswillen, Disziplinierung und Druck begegnet werden muss. Und nicht etwa die gesellschaftliche Verantwortung ins Zentrum rückt und die Frage stellt, wo diese aktivierten Arbeitslosen überhaupt einen Job finden können. Das äussert sich auf dem Sorgenbarometer dann in der Wut über teure, «arbeitsscheue» Sozialhilfebeziehende – und in der Angst, von billigen, ausländischen Arbeitskräften verdrängt und selber zu einem solchen «faulen Arbeitslosen» degradiert zu werden.

Wird der Sorgenbarometer zum Kompass unserer «pragmatischen Politik», lassen wir uns diktieren, was politisch als denk- und machbar angesehen wird. Wir begnügen uns damit, kleine Flickarbeiten zu leisten und bei «Marktversagen» einzugreifen, damit es nicht allzu ungerecht wird. Oder man verabreicht Beruhigungspillen ohne tatsächliche Wirkung, wie die Minder-Initiative.

Das finde ich wenig motivierend und überzeugend. Der Sorgenbarometer ist nicht ein Naturgesetz, sondern veränderbar. Dies haben die Rechten längst erkannt, auch wenn sie es nicht zugeben. Es geht noch weiter: Sie produzieren die Sorgen gleich selber, die sie dann zu lösen vorgeben. Ich hingegen engagiere mich, weil ich überzeugt bin, dass wir Menschen die Macht haben, unsere Zukunft selber nach unseren Werten zu gestalten und nicht dazu geboren sind, Manipuliermasse im Spiel einer kleinen, reichen und mächtigen Elite zu sein. Politik von unten, nicht von oben, das ist Demokratie.

Wir sind als SP dann stark und glaubwürdig, wenn wir zu unseren Überzeugungen stehen und entgegen der aktuellen Mehrheitsmeinung ein Bild zu zeichnen wagen, wie unser Zusammenleben sonst noch aussehen könnte. Das ist eine Gesellschaft, die die Menschen nicht nach ihrem Pass oder Portemonnaie beurteilt, sondern als gleichwertig akzeptiert.

Eine solche Grundüberzeugung hindert mich übrigens nicht daran, für Verbesserungen im Kleinen zu kämpfen. Im Gegenteil. Auch wenn es den Kapitalismus nicht infrage stellt, setze ich mich dafür ein, dass die AHV-Rente erhöht wird. Oder wehre mich dagegen, dass bei der Prämienverbilligung gekürzt wird. Ich sehe auch keinen Widerspruch darin, eine Wirtschaft zu fordern, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht am Profit, und gleichzeitig flankierenden Massnahmen zuzustimmen.

Dabei vergesse ich aber nicht, was für mich Politik bedeutet: Die Überzeugung, dass wir etwas verändern können. Und dass es dafür aber unser aller Engagement braucht.

23. Feb 2017