Was bedeuten die Veränderungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie für Frauen? Welche Chancen bieten sie, welchen Risiken sind wir ausgesetzt? Die Digitalisierung wirft viele Fragen auf, die gerade Frauen stark betreffen: Arbeitsbedingungen, Elternzeit, die Schaffung von Kindertagesstätten, allenfalls Quotendiskussionen, Aus- und Weiterbildung sowie die Förderung von sozial Schwachen.

Ich finde es schwierig, isoliert über Frauen zu sprechen. Denn mit neuen Chancen für Frauen verändert sich die Rolle der Frau. Und dies hat einen Einfluss auf Familien, Männer, die ganze Gesellschaft. Deshalb beziehen sich im Folgenden auch viele der Chancen und Risiken auf die Menschen im Allgemeinen.

Information and communications technology (ICT) bedeutet auf der einen Seite, dass sich ein neuer Berufszweig auftut - mit vielen neuen Stellen. Aber auf der anderen Seite hat diese neue Technologie auch einen Einfluss auf die ganze Dienstleistungsbranche und Industrialisierung. Das heisst, viele Veränderungen, Risiken und Chancen betreffen nicht nur diese neue Branche, sondern auch viele andere Berufe in einem anderen Umfeld. Denken wir doch beispielsweise an die Arbeit in einem Call-Center. Früher musste sich der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin, dort aufhalten, wo sich die Telefonzentrale befindet. Heute kann diese Arbeit völlig ortsunabhängig, also auch von zuhause, erledigt werden. Oder denken wir an die Türsteher. Heute übernehmen Kameras diese Aufgabe.

Betrachten wir heute die Technologiebranche. Sie hat traditionell einen höheren Männeranteil. Dieser Berufszweig ist einem stetigen Wandel unterzogen und bietet immer wieder neue Stellen, ja neue Berufe und Herausforderungen. Wollen wir den Frauenanteil in diesem Bereich erhöhen, gilt es, die Frauen zu naturwissenschaftlichen Studien zu motivieren, denn damit schaffen sie die Grundlage für eine erfolgreiche Karriere. Hier lassen sich viele qualifizierte Arbeitsplätze finden. Viele Frauen arbeiten heute noch in Sektoren, die niedrigere Qualifikationen voraussetzen und dementsprechend schlecht entlöhnt sind oder im Sozialbereich mit einem niedrigen Lohngefüge. Mit einem höheren Verdienst durch höhere Qualifikationen werden Frauen ökonomisch unabhängiger. Bei einer Scheidung oder Trennung fällt es ihnen beispielsweise so viel leichter, ihren Lebensunterhalt alleine zu verdienen und sich ihren Lebensstandard zu erhalten. Zudem sichern sie sich eine genügende Altersvorsorge. Somit schützen sie sich vor Armut im Erwerbsalter und Armut in der Rentenzeit.

Dies ist ein Gewinn für die ganze Gesellschaft und entlastet auch die Männer von ihrer traditionellen Rolle als Versorger von Frau und Familie, wie wir sie in der Schweiz noch weit verbreitet kennen. So hat jede Familie die Möglichkeit frei zu wählen, wie sie Erwerbsarbeit und Familienzeit aufteilen wird. Arbeitet ein Elternteil Vollzeit und der andere übernimmt die Kinderbetreuung oder teilt man sich beides? Jedes Modell hat für jede Familienkonstellation Vor- und Nachteile. Schön, wenn jede Familie die freie Wahl hat. Ein wertvoller Beitrag zu unserer Lebenszufriedenheit.

Es geht aber nicht nur ums Geld. Die Work-Life-Balance ist ebenfalls wichtig für unsere Lebenszufriedenheit und unsere Gesundheit. Für dieses Gleichgewicht kann die Digitalisierung einen grossen Beitrag leisten. Denn die Arbeitsmodelle sind flexibler, man kann orts- und zeitunabhängig arbeiten, sich Arbeitsplätze teilen.

Eine Mutter mit kleinen Kindern kann die Arbeit von zuhause aus erledigen. Sie arbeitet morgens ein paar Stunden, wenn die Kinder im Kindergarten sind, abends wenn sie schlafen oder nachmittags, wenn sie vom Vater betreut werden. Es eröffnen sich für Eltern – beide Elternteile! ganz neue Möglichkeiten und Modelle!

Auf ein Risiko in diesem Zusammenhang möchte ich jedoch hinweisen: Nicht alle Menschen haben Lebenspartner oder Familie. Geht man für eine Arbeit nicht mehr regelmässig aus dem Haus, besteht die Gefahr der Vereinsamung. Man erledigt die Arbeit von zuhause, lässt sich Lebensmittel oder Essen an die Haustür liefern. Einerseits flexibel und bequem, aber andererseits erfordert es von jedem Menschen eine grosse Portion Selbstdisziplin, um sich aktiv ein stabiles soziales Umfeld zu schaffen und in persönlichem Kontakt mit anderen Menschen zu bleiben.

Damit alle diese Visionen Realität werden, braucht es die Mitarbeit der Wirtschaft. Die Arbeitgeber müssen die strukturellen Grundlagen schaffen, damit die Angestellten die vielen Möglichkeiten der Digitalisierung auch nutzen können. Sie müssen flexibel werden und beispielsweise auch die Bereitschaft zeigen Führungspositionen neu zu gestalten. Sie müssen nicht nur erkennen, dass gemischtgeschlechtliche Gremien und Teams erfolgreicher sind, sondern diese Erkenntnisse auch umsetzen und etwas Mut zeigen. Firmen müssen ihren Mitarbeitenden genügend vertrauen, dass sie ihre Arbeit selbständig erledigen und nicht ständig kontrolliert werden müssen.

Sie haben aber auch die Aufgabe, ihre Angestellten vor Missbrauch der neuen Möglichkeiten zu schützen. Es darf nicht sein, dass man sich verpflichtet fühlt, ständig und überall erreichbar zu sein. Jeder Mensch hat das Recht auf freie Zeit und braucht diese auch. Es ist ungesund, wenn Arbeit und Freizeit so stark verschmelzen, dass gar keine Erholung mehr möglich ist. Und es ist ebenfalls schlecht für die Motivation einer Mitarbeitenden, wenn sie den Eindruck hat, dass sie viel leistet für wenig Geld und sich ausgenutzt fühlt. Es gibt bereits heute Firmen, welche nachts und am Wochenende ihre Mails nicht mehr zustellen.

Aber nicht nur die Wirtschaft, auch die Männer sind privat gefordert, wenn es um die Umsetzung von Veränderungen geht. Erfolgreiche, unabhängige und selbständige Frauen erfordern emanzipierte Männer. Wenn Frauen die Chance ergreifen und sich als wichtiger Pfeiler in der Technologiebranche etablieren, verändert sich das Machtgefüge. Auch die gegenseitigen Ansprüche verändern sich. Und hier ergibt sich die Möglichkeit, dem Ziel der Gleichstellung einen grossen Schritt näher zu kommen. Chancen und Risiken, und zwar nicht nur im Umfeld der digitalen Wirtschaft, betreffen selten explizit nur Männer oder nur Frauen. Der grosse Gewinn liegt aus meiner Sicht in einem konstruktiven, unterstützenden Miteinander.

Chancen bergen immer auch Risiken und Risiken bergen immer auch Chancen. Es ist immer ein Abwägen. Und das Leben funktioniert nicht ohne Kompromisse. Aber wir brauchen innovative Menschen und innovative Firmen. So kommen wir weiter und können uns stetig verbessern. Innovation ist eine zentrale Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaft. Daraus ergeben sich wichtige Aufgaben für die Politik.

In einer innovativen Gesellschaft ist es die Aufgabe der Politik, die Schwächen und Mängel und ebenso die Chancen, die mit den Veränderungen einhergehen, zu erkennen und aktiv zu werden. Oft sehen wir Potenzial, Gefahren und Schwierigkeiten eines Fortschritts nicht gleich zu Beginn, sondern erst bei der Umsetzung in den Arbeitsalltag. Dann ist es die Aufgabe der Politik Leitplanken zu setzen. Sie muss neue Regeln vorgeben, gegebenenfalls neue Gesetze schaffen und umsetzen, oder neue Strukturen planen.

So läuft zurzeit in der Schweiz eine politische Diskussion zu zukunftsfähigen Arbeitszeitmodellen. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, die zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter im letzten Jahrhundert gesetzlich verankert wurde, ist heute hemmend für eigenverantwortliche Modelle von Arbeitnehmenden – zumindest sagen das die Wirtschaftsvertreter. Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es eine Lockerung dieser Erfassungspflicht für bestimmte Mitarbeitergruppen in einem höheren Lohnsegment. Damit kann ich leben, jedoch glaube ich, dass die «normalen» Mitarbeitenden einen guten Schutz brauchen. Gerade auch infolge der Digitalisierung. Wie bereits erwähnt, ist es gefährlich, die 24-h-Bereitschaft als Forderung zu spüren.

Weitere wichtige Rahmenbedingungen im Umfeld von Arbeit und neuen Technologien, die die Schweiz beschäftigen, sind bezahlte Elternzeit, die Schaffung von Kindertagesstätten, allenfalls Quotendiskussionen, finanzielle Beihilfen zur Weiterbildung oder Ausbildung und die Förderung von sozial Schwachen. Ja, in der Schweiz fehlen genügend Betreuungsplätze für die Kinder und die Elternzeit (oder Vaterschaftsurlaub) ist auch noch nicht geregelt. Da haben wir noch Aufholbedarf!

Die Aufgaben sind vielfältig und betreffen verschiedene Sachgebiete. Und mit der wirtschaftlichen Weiterentwicklung werden sie sich auch stetig verändern.

Nutzen wir die Technologien und sind wir bereit für Veränderungen. Unter achtsamer Berücksichtigung der Risiken ist das sicher ein Gewinn für die Gesellschaft.

 

Rede gehalten am 26. Juni 2017 an den Munich Conference Series on Ethics in Innovation. 

29. Jun 2017