Eine sozialistische Politik ist dringend nötig. Sie gewinnt in der Schweiz auch neue Wähler.

Tages-Anzeiger-Kolumnist Michael Hermann konstatiert, dass sich die SP und die «sozialistisch orientierte Linke» in einer Krise befänden. Zu diesem Schluss bringt ihn eine waghalsige Tour d’Horizon durch die ganze Welt, von François Hollande bis Kim Il-sung: Alle sind dabei. Wahrscheinlich hat der Politgeograf herausgefunden, dass sie einen ähnlichen Smartspider haben. Andere Ähnlichkeiten sind nicht auszumachen.

Und daran soll abgelesen werden, dass der Sozialismus in einer Krise steckt? Ein starkes Stück, reicht doch ein Blick in eine Zeitung, um mit einer geballten Ladung kapitalistischer Krisen konfrontiert zu werden. Allein in Europa hat die neoliberale Sparpolitik Hunderttausende von Menschen an den Rand des sozialen Abgrunds geführt. Die Notwendigkeit einer wirtschaftspolitischen Alternative ist überdeutlich.

2010 hat die Schweizer SP mit der Erneuerung des Parteiprogramms klar gemacht, dass der Dritte Weg à la Schröder/Blair nicht infrage kommt für sie. Aus gutem Grund: Die deutsche Politik der Lohnzurückhaltung und die britische Deregulierung der Finanzmärkte waren nicht nur ein Verrat am sozialdemokratischen Ziel der sozialen Gerechtigkeit, sie sind auch für die heutige Krise in der EU massgeblich mitverantwortlich. Viele sozialistische Parteien Europas haben sich inzwischen wieder nach links gedreht.

Die SP Schweiz hat dies schon vorher forciert, etwa durch den Einsatz für bezahlbaren Wohnraum, höhere Löhne oder eine fortschrittlichen Familienpolitik. Mit 1:12 hat sie auch seit Jahren das erste Mal eine ernsthafte Alternative aufgezeigt, die über den Kapitalismus hinausweist. Für dieses «linke Utopia», wie Hermann es nennt, haben sich an der Urne mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten ausgesprochen.

Elektoral ist dieser Kurs erfolgreich: Seit den nationalen Wahlen 2011 hat die SP im Mittelwert aller 16 kantonalen Wahlen um 0,7 Prozent zugelegt. Eine Abkehr vom Kampf für den demokratischen Sozialismus ist deshalb nicht angezeigt.

 

Text erschienen im Tages-Anzeiger vom 4. April 2014

09. Apr 2014