Die Familieninitiative der CVP funktioniert nach folgendem Prinzip: Wer es am wenigsten nötig hat, profitiert am meisten. Wer es am nötigsten hat, profitiert nicht. Das ist kein gerechtes, kein nachhaltiges Modell. Die SP lehnt es deshalb entschieden ab.

Da gibt es im meinem Quartier die Velokurierin. Sie fährt sprichwörtlich auf dem letzten Zacken. Sie muss ihre drei Kinder alleine durchbringen. Damit sie das schafft, arbeitet sie auch noch als Bibliothekarin und als Putzfrau. 

Da gibt es auch den Vollzeit arbeitenden Familienvater. Er hat auf der Familienberatung zugegeben, dass er seinen Sohn nicht zum Zahnarzt bringt, weil er sich nicht verschulden will. 

Und da gibt es die vielen Eltern, die ihre Kinder nicht in einen Sport- oder Musikverein schicken können, weil sie den Mitgliederbeitrag schlicht nicht vermögen. 

Es gibt in der Schweiz hunderttausende von Familien, die finanziell am Anschlag sind, sich abstrampeln und doch wirtschaftlich auf keinen grünen Zweig kommen. Sie leben an der Armutsgrenze und sie können trotz grosser Anstrengung nicht vermeiden, dass ihre Kinder darunter leiden. 

Und sie alle haben etwas gemeinsam: Sie alle würden von der Initiative „Familie stärken“ der CVP nicht profitieren. Ausgerechnet die Familien, die es wirklich nötig hätten, gehen leer aus. Deshalb ist diese Initiative unbrauchbar. 

Die Initiative kostet Bund und Kantone ungefähr eine Milliarde Franken. Auf Bundesebene würde nur gerade die reichere Hälfte der Familien profitieren. Tatsächlich besteht der Handlungsbedarf genau bei der anderen Hälfte. Die Armutsgefährdung der Familien in der Schweiz steigt mit der Anzahl Kinder stärker als in den meisten anderen europäischen Ländern. Familien mit zwei Kindern sind in der Schweiz fast doppelt so armutsgefährdet wie Paare ohne Kinder. Familien mit drei oder mehr Kindern sind gar viermal häufiger armutsgefährdet. Am härtesten trifft es Einelternfamilien. 30 Prozent aller Alleinerziehenden gelten statistisch als arm. Eine Familieninitiative, welche ausgerechnet diese Familien vergisst, verdient ihren Namen nicht. 

Es ehrt die CVP, dass sie sich für die wirtschaftliche Verbesserung der Familien einsetzt. Schade, dass sie dafür das völlig untaugliche Instrument der Steuerabzüge vorschlägt. Steuerabzüge helfen nicht denjenigen Familien mit Problemen, sondern den anderen. Steuerabzüge sind ineffizient, teuer und schaffen Ungerechtigkeit. Wegen der Progression steigt die Steuereinsparung mit dem Einkommen. Je reicher, desto höher die Entlastung. Wer es am wenigsten nötig hat, profitiert am meisten. Wer es am nötigsten hat, profitiert nicht. Das ist kein gerechtes, kein nachhaltiges Modell. Die SP lehnt es deshalb entschieden ab. 

Die SP bietet der CVP aber gerne Hand, wenn es darum geht, familienpolitisch weiterzukommen und etwas für die Familien zu machen. Wir glauben, dass es bessere Ansätze gibt, zum Beispiel den Ansatz der Familiengutschriften respektive der Kindergutschriften. Eine Familienpolitik muss sich am Kind orientieren und nicht am Einkommen der Eltern. Wenn schon, dann sollen alle, die Kinder haben, gleichermassen davon profitieren. Wir begrüssen deshalb auch das von der Wirtschaftskommission vorgeschlagene Postulat, welches der Bundesrat bereit ist anzunehmen, damit eben alternative Entlastungsmodelle geprüft werden. Wir freuen uns darauf. 

Wer Familien fördern will, darf nicht gut Verdienende bevorzugen. Die Grundkosten für ein Kind sind immer gleich, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Deshalb sollen alle Kinder respektive ihre Eltern von Gutschriften profitieren können, wie es die SP mit ihrem Initiativprojekt, über das wir am Parteitag vom 28. Juni entscheiden werden, vorschlägt. Die CVP-Initiative hingegen empfiehlt die SP zur Ablehnung, weil sie viel kostet und fast nichts bringt.

Votum im Nationalrat vom 4. Juli 2014

06. Jun 2014