Statt der Kündigungsinitiative sollte die Bundesverfassung wie folgt ergänzt werden: Verstösst eine Initiative gegen Völkerrecht, so wird sie nur unter Vorbehalt umgesetzt – oder die Initiative fordert explizit die Kündigung der Verträge.

Der Ständerat hat nach – für ständerätliche Verhältnisse – emotionaler Debatte die Kündigungsinitiative der SVP verworfen. Genauso zu Recht hat er gleichzeitig den Vorschlag von Ständerat Caroni abgelehnt. Caroni wollte das vermeintliche Grundmalaise aufnehmen und die Hierarchie zwischen Landesrecht und Völkerrecht klären. Das ist eine ziemliche Elfenbeinturmdebatte. Tatsächlich lässt sich dieses Verhältnis kaum mit einer abstrakten Regel ein für allemal klären.

Vor allem aber gibt es zumindest gerade mit Blick auf die im Fokus stehende Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) keine so grossen Probleme, dass unbedingt Handlungsbedarf bestünde. Parlament und Justiz haben sich an die entsprechenden Aushandlungs- und Abwägungsprozesse gewöhnt. Die Praxis zeigt, dass diese regelmässige neue Aushandlung zwischen nationalen und supranationalen Gerichten, aber eben auch der politischen Institutionen sich bewährt. So hat zum Beispiel die Armee nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen aussordentlich pragmatischen Weg gefunden, leicht eingeschränkten Personen den Armeedienst zu ermöglichen, sofern sie das wünschen.

Schritt für Schritt werden die Bedeutung der Verfassung und die Glaubwürdigkeit der Demokratie ausgehöhlt.

Dennoch weist die Initiative der SVP tatsächlich auf eine Lücke in der Verfassung hin, allerdings auf eine ganz andere, als die Partei meint. Die Probleme schaffen wir uns nämlich primär selber. Sie liegen in der Lancierung von Volksinitiativen, die bewusst Unklarheit schaffen statt Klarheit – ich nenne sie «Wischiwaschi-Initiativen»; zu diesen gehört neben dem jetzt diskutierten Begehren auch die Masseneinwanderungsinitiative. Gezielt lässt die Formulierung in diesen Initiativtexten die konkreten Folgen in Bezug auf internationale Verträge offen, hier namentlich die Bilateralen und die Personenfreizügigkeit oder die EMRK. Phrasen wie «nötigenfalls kündigen», ohne anzugeben, was das heisst oder wer das entscheidet, dienen nicht der Schaffung klarer Verhältnisse, sondern der Förderung von Unklarheit und Verwirrung.

Das Kalkül besteht darin, Parlament und Bundesrat systematisch in unlösbare Zielkonflikte zu bringen. Findet das Parlament, wie bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative geschehen, dann einen Kompromiss zwischen unterzeichneten Verträgen und Bundesverfassung, kann man leicht behaupten, der Volkswille werde gezielt missachtet. Hätte man indes eine Lösung gesucht, welche die Personenfreizügigkeit infrage gestellt hätte, wären Parlament und Bundesrat wegen schlechter Verhandlungen für alle Folgen verantwortlich gemacht worden – «Figgi und Mühli», könnte man sagen, schlaue Taktik. Die Folgen aber sind gravierend. Parlament und Regierung verlieren Vertrauen und Rückhalt, Schritt für Schritt werden die Bedeutung der Verfassung und die Glaubwürdigkeit der Demokratie ausgehöhlt.

Tatsächlich wäre das Problem relativ einfach zu lösen. Dazu müsste man Art. 139 der Bundesverfassung mit einer simplen Bestimmung ergänzen: Verstösst eine Initiative gegen Völkerrecht, so wird sie grundsätzlich nur unter Vorbehalt desselben umgesetzt. Es sei denn, eine Initiative fordere explizit die Kündigung der entsprechenden Verträge. Mit einer solchen Ergänzung würde die direkte Demokratie in keiner Weise eingeschränkt, im Gegenteil. Sie würde gestärkt, weil wir endlich Klarheit über Volksentscheide mit Wirkung auf das Völkerrecht hätten. Jeder und jede könnte weiterhin alles in die Verfassung schreiben und jeden Vertrag kündigen, oder das zumindest mittels Volksinitiative fordern. Man müsste aber endlich ehrlich angeben, was man wirklich will. Die Bevölkerung wüsste vor der Abstimmung genau über die entsprechenden Folgen Bescheid – kein Wischiwaschi mehr eben.

Erschienen in der NZZ vom 28. März 2018

30. Mär 2018