Der Wirtschaftsmotor der Schweiz stottert. Die Kritik an der Nationalbank wird sieben Monate nach ihrem Fehlentscheid zur Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses von 1.20 Franken immer härter. Und die Kritik kommt neuerdings auch von rechts.

Die Folgen des Fehlentscheids der Schweizerischen Nationalbank vom 15. Januar 2015 sind nicht zu übersehen:

  • Der krass überbewertete Franken vernichtete und vernichtet Tausende von Arbeitsplätzen.
  • Einer von fünf Arbeitsplätzen in der Industrie ist gemäss Umfrage der «Bilanz» von einer Verlagerung ins Ausland bedroht. 
  • Die Schweiz wächst weit unter ihrem Potentialwachstum von 2 Prozent. Die Euro-Zone wächst schneller als die Schweiz.

Getroffen werden fast alle Branchen: Die Exportwirtschaft, der Tourismus, der Detailhandel, die nachgelagerte Binnenwirtschaft. Viele Verlagerungsprozesse sind irreversibel.

Schneider-Ammann will Kaufkraftparitätskurs

SP und Gewerkschaften kritisieren den falschen Kurs der SNB seit Monaten massiv. Nun wird die Kritik auch von rechts immer härter.  

Unser aller Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagte im Nationalrat in der Herbstsession an der dringlichen Kürzestdebatte zum starken Franken:

«Der Bundesrat nimmt gerne zur Kenntnis, dass die Nationalbank bemüht ist, die Wechselkursrelation zum Hauptabnehmer- und Hauptzulieferermarkt Europäische Union und damit zum Euro so zu stützen, dass die Reise in Richtung Kaufkraftparität geht. (…) Wenn ich in diesen Tagen gefragt werde, wie es mir geht, dann antworte ich normalerweise: Es geht mir 1.0986. Und wenn es mir 1.0986 geht, geht es mir schon ein Stück besser, als wenn es mir nur 1.0864 geht. Wir sind in einer Volatilität, aber wir sind relativ stabil, näher bei 1.10 Franken als noch vor wenigen Wochen, als wir noch bei 1.0345 Franken waren. Und die Reise ist selbstverständlich nicht abgeschlossen, Kaufkraftparität ist deutlich über 1.20 Franken.»

Prof. Artus: Mindestkursaufhebung war Fehleinschätzung der SNB

Der Sorbonne-Professor Patrick Artus, Chefökonom der amerikanischen Investmentbank Natixis, meinte in einem Interview im «cash»:  

«Ich habe die Mindestkursauflösung schon immer für einen grossen Fehler gehalten. Und die jüngsten Statements des SNB-Präsidenten zementieren meine Meinung zusätzlich, denn Thomas Jordan hat zugegeben, dass der Schweizer Franken immer noch überbewertet ist und die Nationalbank weiterhin intervenieren wird, bis der Franken ein vertretbares Level erreichen wird. Als Thomas Jordan die Untergrenze aufhob, begründete er dies damit, nicht mehr intervenieren zu wollen. Mit der Untergrenze hatte die SNB eine hohe Glaubwürdigkeit und es war nicht schwer, dieses Kursverhältnis aufrecht zu erhalten. Mit der Auflösung ist es nun ungemein komplizierter, den Franken zu stabilisieren. Wenn der Euro-Franken-Kurs, welcher zurzeit um 1.09 herum liegt, wieder auf 1.20 gehen soll, wäre eine massiv höhere Intervention am Devisenmarkt notwendig, als wenn der Mindestkurs geblieben wäre. (…) Der Entscheid der Mindestkursauflösung basierte auf dem fehlerhaften Glauben, dass sich der Euro stark abschwächen würde. (…) Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil, der Euro wird sogar stärker. Es handelte sich also um eine grosse Fehleinschätzung.»

UBS-Chefökonom Höfert: Mindestkurs wäre zu halten gewesen

Eine neue Strategie empfahl der Schweizerischen Nationalbank auch der vor wenigen Tagen verstorbene UBS-Chefökonom Andreas Höfert in der NZZ am Sonntag vom 27. September:

«Europas Entwicklung ist in diesem Jahr die positivste Überraschung der Weltwirtschaft. (…) Nachdem der Euro-Franken-Mindestkurs am 15. Januar aufgehoben worden war, haben wir unsere Wachstumsprognose für die Schweiz drastisch nach unten korrigiert, von knapp 2% auf 0,5%. Jetzt sind wir wieder optimistischer und rechnen mit 1% Wachstum. Die Binnennachfrage bleibt gut. Trotzdem wächst die Schweiz allerdings erstmals seit vielen Jahren weniger als die Euro-Zone.»

Und auf die Frage, was die SNB bei einem erneuten Aufwertungsdruck machen müsste: «Sie muss erneut intervenieren und Euro kaufen. Oder wir verwalten das Land eine Zeitlang so schlecht wie Griechenland. Dann sinkt der Franken von selbst.» Und zur Aufhebung des Mindestkurses: «Vor dem 15. Januar war der Aufwärtsdruck immens. Aber mit einem beherzten Eingreifen hätte man dem Markt auch in diesem kritischen Moment klarmachen können, dass die Grenze bleibt. Der Mindestkurs wäre zu halten gewesen.»

Höfert empfiehlt erneut die Einrichtung eines Staatsfonds. Das wäre seines Erachtens eine Hilfe, um die Devisenreserven der Schweiz sinnvoll zu investieren. Zudem würde auch der überbewertete Franken geschwächt.

Unternehmer Pieper: SNB mit schwacher Leistung

Klarer als der Unternehmer und Industrielle Michael Pieper in der «Schweiz am Sonntag» vom 4. Oktober kann man die Kritik an der Aufhebung des Mindestkurses nicht formulieren:

«Ich finde es eine Katastrophe. Die Nationalbank hat uns jahrelang erzählt, wie stabil dieser Kurs von 1.20 Franken sei. In der Zeit hätte sie einen geordneten Rückzug in aller Ruhe vorbereiten können. Stattdessen hebt sie den Mindestkurs von einem Tag auf den andern auf. (…) Die SNB hatte sagen müssen, der Mindestkurs bleibt so. Dann hätte auch niemand mehr spekuliert. (…) Die SNB hätte mehr Stärke zeigen müssen. (…) Es ist einfach eine schwache Leistung.»

SRF-Gebühren in Euro zahlen

Leider war das Thema Wirtschaft samt Frankenstärke auch in der Herbstsession dem Büro des Nationalrats nicht mehr als eine Mini-Debatte wert. Und in der Präsidentenrunde der Wahl-Arena wurde die Frage ganz ausgeblendet. Wie wäre es, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten die SRG-Gebühren in Euro zahlen könnten, während die Kosten weiterhin schwergewichtig in Franken anfallen würden? Die Herren Matter, de Weck, Projer, Lipp und co. wären längst erwacht.

Ein Blick zurück ist hilfreich. In den 1990er Jahren dauerte es ewig lange, bis sich auch von rechts her Kritik an der Hochzins-Politik von Markus Lusser formierte, obwohl auch damals der zu starke Franken die Schweiz wirtschaftlich stagnieren liess. Diesmal geht – wie die obigen Zitate belegen – alles viel schneller. Und heute braucht es wie in den neunziger Jahren eine neue Spitze der Nationalbank, weil Thomas Jordan und Fritz Zurbrügg mit ihren absurden Aussagen und Einschätzungen jede Glaubwürdigkeit verloren haben.

Weichen neu stellen

Wirtschaftspolitisch müssen drei Weichen neu gestellt werden:

  1. Die Schweiz braucht wieder einen neuen Mindestkurs von mindestens 1.20 Franken pro Euro und dann muss die Reise in Richtung Kaufkraftparität gehen.
  2. Die Nationalbank muss die 400 Milliarden, die sie mit Geldrucken verdient hat, abgeben und in einen Staatsfonds legen. Was man mit den realen Erträgen macht, kann und muss Gegenstand der politischen Auseinandersetzungen des Jahres 2016 sein.
  3. Die Schweizerische Nationalbank braucht wieder eine glaubwürdige Spitze.

 

05. Okt 2015