Die SP kämpft seit Jahrzehnten gegen den Missbrauch des Persönlichkeitsschutzes zum Zweck der Steuerhinterziehung. Die SP-Fraktion sagte in der Sommersession Nein zur Lex USA. Wie geht das zusammen?

Zum Begrifflichen: Bankgeheimnis, Bankkundengeheimnis oder Steuerhinterzieher-Geheimnis?
In der Verfassung ist der Schutz der Privatsphäre in Art. 13 BV umfassend garantiert. Auch das sogenannte Bankgeheimnis wird in der Lehre als Konkretisierung von Art. 13 betrachtet. Wir sind nicht gegen das Bankgeheimnis. Keine und keiner sollen wissen, wer wie viel auf dem Bankkonto hat, ausgenommen die Steuer- und Strafbehörden, die ihrerseits an das Amtsgeheimnis gebunden sind.   

Die SP kämpft seit Jahrzehnten gegen den Missbrauch des Persönlichkeitsschutzes zum Zweck der Steuerhinterziehung. Wichtig war die Bankeninitiative (Eidgenössische Volksinitiative gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht) von 1979. Sie wurde im Mai 1984 abgelehnt. Danach wurde das Bankgeheimnis immer mehr zum ideologischen Kampfbegriff der Banken und der Bürgerlichen. Wer sich dagegen aussprach, wurde zur Landesverräterin. Jean Ziegler wurde mit Prozessen gar existentiell bedroht. Eine Stigmatisierung erfuhr auch der verstorbene Bankier Hans J. Bär: Das Bankgeheimnis ist „ein defensives Instrument, das die Schweiz vom allgemeinen Wettbewerb verschont und das uns (…) fett, aber impotent macht.“ (Hans J. Bär, 2004, Seid umschlungen Millionen, S. 423).

Das Bankkundengeheimnis ist der rhetorische Kampfbegriff der Rechten mit dem Zweck, das Steuerhinterzieher-Geheimnis hinter dem Bankgeheimnis zu verstecken. 

Expertenbericht Brunetti folgt der SP-Logik
Die Banken profitierten jahrzehntelang vom steuerlichen und regulatorischen Differenzierungspotential, das ihnen die von ihnen gesponserten bürgerlichen Parteien mit dem Missbrauch des Bankgeheimnisses politisch absicherten. Heute sind die Kollateralschäden für den Finanzplatz und die Kosten für den Staat unübersehbar.  

Der Sterbeprozess des Steuerhinterzieher-Geheimnisses ist unübersehbar. Formell erfolgt die schrittweise Auflösung spätestens seit März 2009 mit der Preisgabe der Unterscheidung von Steuerhinterziehung und –betrug im internationalen Amtshilfeverfahren in Steuersachen nach OECD-Standard. Faktisch wurde das Steuerhinterzieher-Geheimnis gegenüber den US-amerikanischen Kundinnen und Kunden bei der UBS ab 2009 und 2010 rückwirkend aufgehoben – mit direkter Datenlieferung und US-Staatsvertrag.

Den Rest schaffen die Geheimdienste und die Informatisierung, die die Bankdaten über den ganzen Globus für Tausende von MitarbeiterInnen zugänglich macht.

Der frühere CS- und dann UBS-CEO Oswald Grübel hat dies klar erkannt. US-Reiseverbote und drohende Verhaftungen fördern den Erkenntnisgewinn. In der Schweiz am Sonntag (16.6.2013) schreibt Grübel: „Das Bankgeheimnis soll abgeschafft werden (…). Der Plan (…) ist verständlich, denn in der heutigen Welt wird es Technologie sei Dank bald keine Geheimnisse mehr geben und auch kein Verständnis dafür (…). Der Trend (ist) unaufhaltsam (...)“.

In der gleichen Logik bewegt sich der Bericht der Expertenkommission Brunetti zur „Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie“. Er macht klar, dass die von der Schweiz verfolgte Strategie der Quellenbesteuerung international nicht tragfähig ist. Internationale Akzeptanz hat einzig der Automatische Informationsaustausch (AIA) und das ist der Tod des Steuerhinterzieher-Geheimnisses. Anders als Brunetti ist der Bundesrat bis im Herbst auf Tauchstation. 

Schweizer Banken übernehmen UBS-US-Kunden
Viel zu spät den Tarif erkannt, haben auch einige Schweizer Banken. Sie hatten noch 2009 und 2010 US-amerikanische Bankkunden der UBS übernommen oder sogar aktiv akquiriert. Rund die Hälfte der UBS-US-Kundengelder ist ab 2009 in der Schweiz verblieben und aktiv oder passiv von Schweizer Banken übernommen worden. Darunter waren die Bank Wegelin und mehrere Kantonalbanken. Dass die USA das nicht tolerierten, kann nicht verwundern. Die logische Folgen: US-Strafuntersuchungen gegen die fehlbaren Institute. Wegelin existiert nicht mehr. 

Lex USA als Hinterausgang für fehlbare Bankmanager
Wie war und ist in diesem Umfeld die Vorlage zur „Erleichterung der Bereinigung des Steuerstreits mit den USA" zu bewerten? Diese Lex USA ist nichts anderes als ein Hinterausgang für fehlbare Bankmanager. Das erklärt das starke Lobbyieren gewisser Banken für das Gesetz.
Die USA verschärfen seit einiger Zeit die Gangart gegen Steuerhinterzieher von US-Personen weltweit und auch in der Schweiz. Mit Fatca führen sie ab 2014 für die Zukunft einen automatischen Informationsverkehr von Bankdaten in die USA ein. Fatca dient der Verhinderung von Steuerhinterziehung in Zukunft. Daneben braucht es eine Bereinigung der Vergangenheit. Die USA haben nach der Datenlieferung der UBS und den Selbstanzeigen (ca. 40 000) detaillierte Kenntnis des Schweizer Netzwerks inkl. Abschleicher (sogenannte Leaver).

Gegen 14 (jetzt noch 12) Institute wurden von der Staatsanwaltschaft in den USA Verfahren eröffnet. Durch den bundesrätlichen Versuch, eine sogenannte Globallösung für den ganzen Finanzplatz zu erreichen, sind die Einigungen dieser Banken mit den US-Behörden blockiert worden. Der Bund hat über eine Vergangenheitslösung rund zwei Jahre verhandelt. Den USA ist irgendwann der Geduldsfaden gerissen. Unvermittelt hatte der Bundesrat dem Parlament mit Datum vom 29. Mai 2013 ein dringliches Bundesgesetz unterbreitet, das noch in der am 3. Juni beginnenden Sommersession dringlich beraten werden sollte.

Die SP-Fraktion hat sich aus den folgenden Gründen nicht zur Handlangerin dieses Manövers gemacht.

  1. Staatspolitisch war das Gesetz nicht haltbar. Im Blindflug sollte das Parlament einem unbekannten Programm zwischen dem US-Justizdepartement und den Banken das Plazet erteilen und das in einem dringlichen Verfahren und unter Ausschaltung der demokratischen Rechte.
  2. Rechtsstaatlich folgte das Gesetz einer perversen Logik. Die Daten von Mitarbeitern und Dritten sollen ausgeliefert werden, aber die Daten von US-Bürgern, die US-amerikanische Steuergesetze verletzt haben, sollen geschützt und auf das komplizierte Amtshilfeverfahren verwiesen werden. Zweck der Übung: Die Schweiz wollte offenbar nicht – wie dies im Fall UBS geschehen ist – das Steuerhinterzieher-Geheimnis aufheben und die Kundendaten liefern.
  3. Es zeigten sich klare Handlungsalternativen . Die Amerikaner wollen Daten sehen. Der Bundesrat kann Einzelfallermächtigungen dazu erteilen, oder die fehlbaren Bankmanager müssen die Daten selber liefern. Auf welchem Weg die US-Amerikaner zu ihren Daten kommen, ist ihnen gleich.
  4. Der Schutz der Mitarbeitenden im Gesetz wurde gepriesen. Er war aber auf 12 Monate beschränkt. Wir haben mit einer Motion des Parlaments eine bessere Lösung. Sie wird auf Dauer verankert und verpflichtet die Arbeitgeber zu Sozialpartnervereinbarungen.
  5. Die Schweiz braucht nicht befristete Gesetze sondern dauerhafte Lösungen des Steuerstreits. Die USA werden sich nach der Auslieferung der Daten sicherlich nicht zufrieden geben, sondern stattdessen neue Banken ins Visier nehmen. Auch europäische Länder werden Druck machen. Eine dauerhafte Lösung bringt uns erst ein Bankenplatz ohne Schwarzgelder mit einer politischen Wende.

Hätte uns die Lex USA im Kampf gegen das Steuerhinterzieher-Geheimnis weiter gebracht, wie vielfach behauptet worden ist. Ich meine: Im Gegenteil. Sie war als Feigenblatt, um das Steuerhinterzieher-Geheimnis formell zu schützen, konzipiert. Ausgerechnet wir, die wie die SP als Partei seit Jahrzehnten gegen diesen Missstand angekämpft haben, hätten den Sterbeprozess des Steuerhinterzieher-Geheimnisses damit künstlich verlängert. 

02. Jul 2013