Es geht nicht darum, ob wir die Partei mehr nach links oder mehr nach rechts ausrichten, sondern nur darum, dass wir breit aufgestellt bleiben und dabei mit unseren Grundwerten und Prinzipien attraktiv bleiben mit Vorschlägen in der ganzen Breite unserer Überzeugungen. Die Wählerinnen und Wähler müssen an uns glauben. Nur so können wir unsere Ziele erreichen.

Wir sind für soziale Gerechtigkeit, fühlen uns verantwortlich für unsere Umwelt und für die knappen Ressourcen und engagieren uns für eine welt- und europaoffene, solidarische Schweiz. Gut so!

Wir glauben an eine bessere Gesellschaft und damit an ein Gesellschaftsprojekt, das wir nur mit grundlegenden Reformen erreichen können: Mitbestimmung, soziale Umverteilung über Erbschafts- und Reichtumssteuern bis hin zu radikalen Ideen neuer Eigentumskonzepte, ich war sogar für das garantierte Grundeinkommen. Unmittelbar ging es ja auch im Kampf gegen die Unternehmenssteuerreform III um den alten «Klassenkampf». Natürlich unterstütze ich auch solche Forderungen, wann immer ich darüber abstimmen kann. Und dabei behaupte ich: Ich habe Recht – wir haben Recht!

Aber in der Politik entscheidet nicht, wer Recht hat, sondern nur, wer Recht bekommt. Und Recht bekommt, wer mehrheitsfähig ist. Entscheidend ist deshalb nicht, was wir glauben, sondern ob unsere Wähler und Wählerinnen an uns glauben. Nur so können wir unsere Ziele erreichen. Wir müssen glaubwürdig sein.

Deshalb bin ich einer der «Reformorientierten» in unserer Partei und möchte, dass wir die Strategiediskussion neu angehen. Dazu drei Argumente:

Erstens geht es nicht darum, ob wir die Partei mehr nach links oder mehr nach rechts ausrichten, sondern nur darum, dass wir breit aufgestellt bleiben und dabei mit unseren Grundwerten und Prinzipien attraktiv bleiben mit Vorschlägen in der ganzen Breite unserer Überzeugungen. In dieser Breite müssen wir die interne Debatte führen. Auch als links-liberaler und bekennender Europäer gehöre ich zur SP.

Zweitens verraten wir nicht diese Grundwerte und Prinzipien, wenn wir expliziter als bisher offen und pragmatisch für Mitte-Links-Allianzen einstehen. Das gilt genauso für die Bilateralen, die wir nur zusammen mit der FDP retten konnten, wie auch für die Zukunft der AHV, für die wir auf den letzten Rest Christlichkeit in der politischen Mitte angewiesen sind. Die Ansage «Klassenkampf» ist nicht hilfreich.

Am alten Graben zwischen uns Linken und den «Bürgerlichen» verkennen wir die neue heute immer wichtigere Front all jener Kräfte, die gemeinsam mit uns bereit sind, Rechtsstaat, Völkerrecht und Menschenrechte gegen den Angriff der Rechtspopulisten zu verteidigen. Hier geht es um die Grundwerte der Republik und der Aufklärung, die von der SVP und ihrem Missbrauch des Volkswillens attackiert werden. Und hier stehen wir in einem epochalen Konflikt, der die europäische und amerikanische Politik grundsätzlich verändert hat.

Drittens brauchen wir einen Perspektivenwechsel. Vor kurzem habe ich mich mit der Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, darüber unterhalten, was heute Sozialdemokratie ist. Sie erklärte mir, dass die SPD versuche, nicht mehr von der Perspektive des Gesellschaftsprojekts, sondern von der erlebten Perspektive des Einzelnen auszugehen. Dorthin müssen wir zurückkehren, für mich besonders in drei Aspekten:

  • Sicherheit: Die Menschen sind verunsichert. Auf ihre Ängste erwarten sie konkrete Antworten. Dabei geht es in erster Linie um den Arbeitsplatz, vor allem für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im Hinblick auf die Umbrüche der Arbeitswelt durch die fortschreitende Informatisierung der «Industriegesellschaft 4.0». Und natürlich geht es um unsere Gesundheits- und Altersversorgung, aber auch um die Sicherheit im öffentlichen Raum. Dafür brauchen wir die Effizienz der Polizei und der Gerichte.
  • Identität und Integration: Unser Land hat nur als weltoffene und tolerante Migrationsgesellschaft eine Zukunft, die unseren Wohlstand garantiert. Dabei ist die Schweiz aber eine andere geworden. Die Globalisierung können wir nicht bekämpfen, aber ihre Verlierer müssen wir ernster nehmen. Mit Peter Bichsel habe ich mich jüngst über Heimat gestritten. Er kann das Wort nicht mehr hören. Ich finde, wir dürfen Heimat und Heimatverlust nicht den Populisten überlassen.
  • Zukunft: Frauen und Männer wollen arbeiten und Kinder haben. Wenn wir uns dies nicht mehr leisten können, können wir die Zukunft vergessen.
23. Feb 2017