Wenn einige Sozialdemokraten, die sicher nicht dümmer sind als diejenigen, die über sie schreiben, sich Gedanken darüber machen, wie die Wirtschaft wieder den Menschen dienen könnte, die tagtäglich arbeiten und dafür sorgen, dass überhaupt noch etwas funktioniert, ist das mehr als gerechtfertigt und volksnäher als so manch anderes. Eine Sorge übrigens, die die SP mit verschiedenen Wirtschaftsnobelpreisträgern teilt.

Bereits im Jahr 2010 als die SP beschloss die «Überwindung des Kapitalismus» im Parteiprogramm zu belassen, schütteten die Medien Spott und Häme über uns aus. Just in dem Jahr als die TA-Media ihrer Eigentümerfamilie 42 Millionen Dividenden ausschüttete und gleichzeitig 60 Journalisten entliess. In dem gleichen Jahr als die Journalisten also den Siegeszug des Kapitals am eigenen Leib erfuhren, hatten sie bereits tausende Artikel verfasst über die Asienkrise, die geplatzte Internetblase, die Subprime-Immobilienkrise, die Finanzmarktkrise und die darauf folgende Schulden- und Eurokrise.  Zwischen damals und dieser Woche, an dem die SP ein Papier zur Wirtschaftsdemokratie verabschiedete, sollten sie nochmals tausende Artikel schreiben zu Währungs- und Leitzinsmanipulationen durch Banken, zu den Panamapapers, die die Schattenwirtschaft der Multimilliardäre aufdeckte, zur Griechenlandkrise, zu ganzen Volkswirtschaften, die an den Abgrund gerissen wurden, weil sie den Banken infolge der Immobilienkrise deren Schulden abgenommen hatten, zu Zentralbankentscheiden,die wirkungsmächtiger sind als jeder demokratisch gefällte Entscheid, zur Abkoppelung der entfesselten Finanzmärkte von der Realwirtschaft und zur Steuervermeidung als Businessmodell der globalen Konzerne.

Nun könnte man achselzuckend hinnehmen, dass 62 Personen gleich viel Vermögen haben wie die halbe Weltbevölkerung zusammen. Man könnte sich bequem zurücklehnen und meinen «shit happens», um sich wieder der Burka-Frage zuzuwenden, einem vermeintlich echten Problem des Volkes. Man könnte aber auch innehalten und sich grundsätzlich Gedanken machen darüber, wer auf Erden das Sagen hat. Das Kapital oder die Politik? Spätentens dann, wenn die Macht von globalen Konzernen verrechtlicht wird, indem ihnen in Freihandelsabkommen Klagerechte für entgangene Gewinne in Folge von Gesetzgebungen eingeräumt wird. Wer nicht eingesehen hat, dass die Weltwirtschaft nach der massiven Deregulierung der Finanzmärkte und dem Niedergang der zähmenden Wirkung des kommunistischen Ostblocks in den frühen 90er Jahren nicht mehr die gleiche ist, steckt selbst in der Klammottenkiste.

Allein ein Blick in die Schweiz würde genügen, um zu sehen wie das Kapital die Kontrolle übernommen hat. Unser hochgradig antikapitalistisches, dafür gemeinwohlorientiertes Erfolgsmodell Schweiz, in dem sämtliche existentiellen Grundgüter – also Wasser, Strom, Schulen, Spitäler, öffentlichen Verkehr usw. – im Volkseigentum waren (und zum Glück mehrheitlich noch sind), und somit niemand einem Privateigentümer Gewinne abliefern muss, was enorme Kaufkraft bringt, zudem Kapital hoch und dafür Löhne und Konsum tief besteuert waren, hat ein Ablaufdatum. Seit 1998 haben wir nichts anderes gemacht als Kapital steuerlich zu entlasten und Arbeitseinkommen und Konsum zu belasten. Erneutes Anschauungsmaterial für den Siegeszug des Kapitals und dafür, dass uns die Konzerne die Bedingungen diktieren, liefert aktuell die Unternehmenssteuerreform 3, wo nichts anderes verlangt wird, als dass der Mittelstand zusätzliche leistungsfreie Gewinne der Grossfirmen finanziert. Kapital gewinnt und Arbeit verliert.

Wenn einige Sozialdemokraten, die sicher nicht dümmer sind als diejenigen, die über sie schreiben, sich Gedanken darüber machen, wie die Wirtschaft wieder den Menschen dienen könnte, die tagtäglich arbeiten und dafür sorgen, dass überhaupt noch etwas funktioniert, ist das mehr als gerechtfertigt und volksnäher als so manch anderes. Eine Sorge übrigens, die die SP mit verschiedenen Wirtschaftsnobelpreisträgern teilt.

Das ins Lächerliche zu ziehen, ist nicht nur oberflächlich, arrogant und intellektuell unredlich, sondern eine verpasste Chance um einen Diskurs aktueller und relevanter denn je zu führen.

 

Gastbeitrag publiziert in leicht gekürzter Version in der Sonntags Zeitung (SoZ) vom 11.12.2016

13. Dez 2016