Als der Bundesrat das Projekt Tiger-Teilersatz (TTE) im Juni 2007 grundsätzlich bewilligte, war klar: Der neue Kampfjet steht vor allem deshalb auf der Wunschliste der Luftwaffe, weil der aktuellen Flugzeug-Flotte die Erdkampffähigkeit fehlt. Populär ist dieses Argument nicht – ein Erdkampfeinsatz der Schweizer Luftwaffe scheint bei der aktuellen Lage extrem unwahrscheinlich und eine entsprechende Aufrüstung ist ein purer Luxus. Mit dem Erdkampf-Argument sind keine politischen Debatten zu gewinnen. Also rückt man in jüngster Zeit die breit akzeptierte Luftpolizei ins Zentrum – doch für diese braucht’s keine neue Jets. Was die Österreicher mit 15 Eurofightern können, ist in der Schweiz mit unseren 33 F/A-18, die erst jüngst modernisiert wurden, längst möglich.

Die Diskussion über das militärische Leistungsprofil ist eine grundsätzliche; und es wäre auch die politisch richtige. Doch es ist nicht diese politische Grundsatzdebatte über die künftigen Aufgaben der Luftwaffe, welche den Kampfjet in Schieflage bringt. Es sind Ungereimtheiten im Evaluationsverfahren, es sind Inkohärenzen im VBS, und es sind grosse Zweifel über die Fähigkeiten des konkreten Flugzeugtyps, welche der Bundesrat beschaffen will. Die Spitze des Militärdepartements versuchte in den letzten Tagen verschiedentlich Klarheit in die Sache zu bringen. Doch je mehr sie erklären, desto unklarer wird‘s.

Einer der Problemkreise ist: Der Gripen E/F existiert erst als Prototyp – als zweisitziger Gripen-F-Demonstrator. In den Tests flog die Schweiz das Vorgängermodell Gripen C/D, welches sich wesentlich von der neuen Gripen-Generation unterscheidet. Der Gripen C/D schnitt in den Test schlecht ab, auch im luftpolizeilichen Bereich. Zwischen der Flugerprobung 2008 und dem Typenentscheid des Bundesrates am 30.11.2011 hat das VBS 2009 einen Evaluationsbericht verfasst (Basis: virtuelle Hochrechnung auf den Gripen E/F), der zweimal revidiert wurde, im Februar 2010 sowie kurz vor der Typenwahl am 30. November 2011. In dieser Zeitspanne hat sich der Jet mirakulös verbessert. Die Grundlagen dafür bleiben bis heute im Nebel. Die Aussagen der Luftwaffe über die Gründe für die Verbesserungen sind vage. Unter anderem ist alles andere als klar, wie weit der Gripen E/F heute bereits entwickelt ist und wann die Produktion starten könnte. Die Luftwaffe spricht davon, dass Schweden bis 2040 mit diesem Flugzeug fliegen wolle. Nur: Heute fliegt Schweden mit über 100 Gripen C/D und der Wechsel auf E/F ist weder beschlossen noch finanziert. In Schweden geistert die hohe Summe von 6 Milliarden Entwicklungskosten herum, welche SAAB ausserstand sei, selber zu tragen. Wenn man diesbezüglich nachfragt, wird das Gesicht des Luftwaffenchefs lang und Bundesrat Maurer lenkt ab, in dem er von der Weiterentwicklung spricht, welche bei allen Typen anfallen würde. Aber das ist nicht der Punkt…

Insistiert man weiter, wird’s noch diffuser: Ursprünglich hiess es, dass die Beschaffungsbotschaft nur die Beschaffungskosten enthalten würde. Dass da Zusätze wie die Avionik, die Munition oder Ersatzteile dabei sind, ist klar. Dass da aber auch Piloten-Ausbildungskosten, Anpassungen auf den Flugplätzen und gar Teile des Unterhalt dabei sind, ist neu und wenig plausibel. Bauliche Anpassungen werden in der Regel über die Immobilienbotschaft VBS finanziert, Treibstoff, Personal und Unterhalt sind üblicherweise Teile der jährlichen Betriebskosten.

Es gibt Stimmen, die sagen, es deute einiges darauf hin, dass der Gripen bereits seit langem beschlossene Sache war, zumindest für gewisse Kreise. Für diese These spricht, dass derSaab-Konzern auf den 1. Juli 2007 die Abteilung Grosskalibermunition der RUAG übernahm. Für den Saab-Konzern eröffnete sich damit ein neues, technologisch hochstehendes Geschäftsfeld. Die in Thun ansässige Firma wird von der neugegründeten Saab Bofors Dynamics Switzerland geleitet. Damals soll es auch andere Interessenten gegeben haben, aber der damalige RUAG-Chef Toni Wicki soll auf den Verkauf an die Freunde aus Schweden gedrängt haben. Ein Jahr später, am 2. Juli 2008, unterzeichnet Saab einenKooperationsvertrag mit Rheinmetall Schweiz und Pilatus Aircraft. Aus dem Kooperationsvertrag geht hervor, dass die Pilatuswerke bereits seit 2003 komplett gefertigte Teile für den Gripen liefern. Bei der Rheinmetall Schweiz AG handelt es sich um die frühere Oerlikon Contraves Pyrotec AG, welche die Flugzeugbordkanone für den Gripen produziert. Eine weitere auffällige Nähe manifestierte sich durch Übernahme von SAAB Space durch die RUAG am 15. Juli 2008.  Die RUAG Space AB sitzt im schwedischen Linköping an der gleichen Adresse wie SAAB und deren Gripen-Marketing-Hauptquartier. All diese Zusammenhänge müssen kein Präjudiz sein, doch sie werfen Fragen auf, die bis heute nicht geklärt sind.

Interessant ist auch die Rolle der Pilatuswerke. Diese sind weit entfernt von ihrem Verkaufsziel von 500 PC-21 Trainingsflugzeugen innert zehn Jahren. Schweden prüft derzeit die Beschaffung von Schulungsflugzeugen PC-21 von Pilatus Aircraft, um ihr aktuelles Schulungsflugzeug zu ersetzen. Und da setzt die Rolle des ehemaligen Cheftestpilots der Armasuisse, Res Schmid ein: Dieser ist heute Regierungsrat des Pilatus-Standortkantons Nidwalden. Neben bei ist er zu 20 % Berater / Experte von BR Maurer. Auch das kaum rein zufällig.

Der Fragekatalog liesse sich beliebig ergänzen: War der Bundesrat über den Vorbehalt bezüglich Truppentauglichkeit informiert? Werden mit dem Gripen E/F neue Lärmtests in der Schweiz durchgeführt? Welcher Anteil der Offset-Geschäfte ist direkt, welcher indirekt? Vermutungen deuten auf einen überdurchschnittlich hohen Anteil an direkter Kooperation hin, was der RUAG ein Milliardengeschäft versprechen würde. Fragen über Fragen. Nach den jüngsten Turbulenzen steht das Kampfflugzeug derart in Schieflage, dass eine Beschaffung politisch immer unrealistischer wird. Und das ist gut so, denn das Geld für die Jets kann die Schweiz sinnvoller investieren als in Rüstungskonzerne im Ausland.

21. Feb 2012