Das Weltsozialforum ist heute mehr als ein Anti-WEF. Es ist gerade für die Menschen aus südlichen Ländern eine einzigartige Plattform zum Austausch und zur Vernetzung, auf der sie auf ihre Probleme aufmerksam machen können. Ich habe viele Aufgaben für unsere politische Arbeit in der Schweiz mitgenommen: Von der Rückführung von Potentatengeldern über mehr Verantwortung für multinationale Unternehmen bis zu international gerechteren Steuergesetzen.

Überschattet vom Terroranschlag auf Besucherinnen und Besucher des Bardo-Museums in Tunis, der über 20  zivile Todesopfer gefordert hatte, wurde das 12. Weltsozialforum WSF am 24. März 2015 in Tunis im strömenden Regen mit einem Marsch zum Bardo-Museum eröffnet. Wenn auch nie ernsthaft in Frage gestellt wurde, ob das Forum trotz des Anschlags durchgeführt werden soll, so drückte das Attentat doch auf die Stimmung. Überall waren Sicherheitskräfte präsent. Dauerregen und starker Wind schränkten zusätzlich Foren und Diskussionsrunden im freien Gelände ein. Aber wie sagt man in Tunesien: Regen bringt Hoffnung. So auch am Weltsozialforum.

Tunesien – Symbol der arabischen Revolution

Das WSF fand - wie bereits 2013 - zum zweiten Mal in Tunis auf dem Universitätscampus von El Manar in den Gebäuden der Fakultäten der Wirtschafts-, Rechts- und Ingenieurwissenschaften statt. Tunesien wurde damit erneut auch örtlich zum Sinnbild der arabischen Revolution. Während der fünf Tage wurden von tausenden von NGOs aus aller Welt in 1074 Veranstaltungen in unzähligen Foren, Plenarveranstaltungen, Ateliers unter dem Motto Würde und Recht folgende Themenbereiche behandelt:  

  • Klimaveränderungen  und ökologische Gerechtigkeit
  • Regulation der Aktivität von multinationalen Konzernen
  • Demokratie, bürgerliche und politische Rechte
  • Wirtschaftliche und soziale Rechte, Bekämpfung von Armut und Ungleichheit
  • Finanzmarktregulierung, Schulden, Steuern
  • Landrechte, Sicherung des Zugangs zu Land, wiederrechtliche Aneignung von Land
  • Migration und Rechte der Migrantinnen und Migranten
  • Menschenrechte
  • Frauenrechte, Gleichstellung der Geschlechter
  • Arbeit und Gewerkschaftskämpfe

Das umfangreiche Programm macht eine Orientierung nicht eben einfach. Prägend waren für mich am Forum ökonomische Fragen. Der Schweizer Delegation unter Leitung von Alliance Sud hat Peter Niggli mit seinem Durchblick praktische Hilfestellung geleistet. Für die rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Schweiz, vorab in Vertretung von NGOs und acht Mitgliedern von nationalen bzw. kantonalen Parlamenten, eröffnete sich neben der politischen Diskussion die Gelegenheit zur internationalen und lokalen Vernetzung.

Forum der ParlamentarierInnen

Das weltweite Forum von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, an dem ich die Schweizer Delegation vorstellen konnte, verabschiedete fünf Motionen zu den Schulden, den multinationalen Konzernen, zum Frieden, zur Migration und zum Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen für alle Bürgerinnen und Bürger. Allgegenwärtig ist das Problem der Schulden, die auf vielen Ländern des Südens lasten. Grossmehrheitlich sind es Schulden für unproduktive Projekte aus der Zeit früherer Machthaber. Einhellig ist auch die Kritik an den Austeritätsvorgaben von Weltbank und IWF, die in vielen Ländern zur Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung führen. Für die von Ebola betroffenen Länder wird eine umgehende Schuldenstreichung verlangt. Es wird für viele Länder beispielhaft sein, ob und wie sich Griechenland unter der Regierung Alexis Tsipras gegenüber den europäischen (Währungs--)Behörden durchzusetzen vermag.

Einhellig ist auch die Kritik an den Austeritätsvorgaben von Weltbank und IWF, die in vielen Ländern zur Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung führen.

Mit der Motion zu den multinationalen Unternehmungen wird deren Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt betont. Unter massiver Kritik stehen dabei Freihandelsabkommen und Investitionsschutzabkommen, die mit einer supranationalen Schiedsgerichtsbarkeit die nationale Justiz und die Souveränität der Staaten auszuhebeln drohen.

Schweizer Kooperationsprogramme für Tunesien

Die Schweizer Botschaft unter der Leitung von Rita Adam und ihrer Crew nutzte die Gelegenheit, der Schweizer Delegation einen Ausschnitt der 100 Kooperationsprogramme für Tunesien, die nach der Revolution von 2011 aufgebaut worden sind, zu präsentieren. Im Rahmen der Unterstützung der Demokratie und der Menschenrechte wird das Projekt für Häuser für Frauen und ihre Kinder ohne festes Domizil unterstützt. Bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und Schaffung von Arbeitsplätzen stehen Berufsbildungsprojekte im Mittelpunkt. Grosses Interesse fanden die Projekte Schutz und Migration mit der Förderung der freiwilligen Rückkehr, verbunden mit der Reintegration in die tunesische Gesellschaft. Darunter findet sich ein von Nationalrat Ueli Leuenberger lanciertes, eindrückliches Projekt der Rückkehrhilfe für junge Migranten in einer sehr verletzlichen Situation.

Das Weltsozialforum – mehr als ein Anti-WEF

Eine abschliessende politische Bilanz des 12. WSF zu ziehen, wäre – vor allem für eine Newcomerin – anmassend. Zu vielfältig sind die Eindrücke, Themen und Erfahrungen. Das Forum endet auch nicht mit einer politischen Schlussdeklaration. Auffallend war die starke Präsenz von Vertreterinnen und Vertretern des Maghreb, darunter viele Frauen und Junge.

Eine abschliessende politische Bilanz des 12. WSF zu ziehen, wäre – vor allem für eine Newcomerin – anmassend. 

Das WEF wurde 2001 als Anti-WEF in Porto Alegre in Brasilien zum ersten Mal durchgeführt. Inzwischen ist es über den Charakter des Anti-WEF hinausgewachsen. Das Weltsozialforum hat als Netzwerk für NGOs und für die Bevölkerung gerade der Länder des Südens und als Plattform des Erfahrungsaustausches grosse Bedeutung. Verstärkt werden könnte die Präsenz von aktiven PolitikerInnen, um sie vermehrt in die politische Verantwortung einzubinden.

Nachfolgearbeiten in der Schweiz

Für die Schweiz sind Nachfolgearbeiten angesagt. Auf politischer Ebene sind das insbesondere:

  • Die Verantwortung multinationaler Konzerne für die Menschenrechte. Noch in der Frühjahrssession ist im Nationalrat eine entsprechende Motion versenkt worden. Umso wichtiger wird die Verfassungsinitiative, die am 21. April 2015 von 50 NGOs lanciert wird.
  • Im Parlament steht das Gesetz über die Rückerstattung von Potentatengeldern vor der Detailberatung. Zentral werden die Durchsetzungsinstrumente sein.
  • Stark beobachtet wird in Tunesien naturgemäss, ob die Gelder, die der Ben-Ali-Clan auf Schweizer Konten deponiert hatte, zurückerstattet werden.
  • Die Freihandelsabkommen müssen auf die Einhaltung der demokratischen Rechte und der Menschenrechte hin überprüft werden.  
  • Die Schweiz muss sich für gerechte Steuergesetze und für die Entschuldung der Länder des Südens einsetzen.

Die Finanzprobleme der Staaten des Südens mit ihren gravierenden Folgen für die Bevölkerung, vor allem für Frauen und Kinder, müssen dringend gelöst werden. Die Schweiz steht hier mit den anderen reichen Ländern des Nordens mit in der Verantwortung.

02. Apr 2015