Der Nationalrat konnte sich (noch) nicht zum Ausstieg aus der Atomenergie durchringen. Hoffentlich zeigt der Ständerat mehr Vernunft. Ganze Generationen politisierte die Diskussion um die Atomkraftwerke (AKW). Auch mich. Erinnerungen kommen hoch, auch Ängste.

1978 trat ich als 11jähriger Kanti-Schüler der «Überparteilichen Bewegung gegen AKW» bei. Eine gefährliche Technologie anzuwenden, die alles Leben zerstören könnte und ohne eine Lösung zur Entsorgung radioaktiver Abfälle zu kennen, schien mir widerrechtlich. Im September 1984 versenkte das Volk ein AKW-Verbot. Den finanziellen Einsatz dagegen, weitgehend aus «öffentlichen Mitteln», erachtete ich als unfassbar. Der fehlende Wille zur Umgestaltung der Energiepolitik erzürnte mich.

Tschernobyl hinterlässt Spuren

1986 waren meine beiden Schwestern «in Hoffnung» als die Hiobsbotschaft der AKW-Katastrophe von Tschernobyl eintraf. Es war schwierig, die Empfehlungen des zuständigen Bundesamtes für Schwangere einzuhalten: Keine Milchprodukte, kaum Gemüse, möglichst keine Aufenthalte im Freien - die Gefahr der Verstrahlung war auch bei uns präsent.

Halbwertszeit der Erinnerung

Das an Verblendung grenzende Vertrauen in eine AKW-Scheinsicherheit würde nun endlich schwächer werden, glaubte ich. Doch weit gefehlt. Die Halbwertszeit des erlebten Horrorszenarios war kurz. Verzögert zur Abstimmung vorgelegt, fand1990 die Initiative für ein 10jähries AKW-Moratorium eine Mehrheit, während der Ausstieg durchfiel. 2003 wollte das Volk weder von einem erweiterten Moratorium noch von einem Atomausstieg etwas wissen.

Spuren der Desinformation

Wie ein Sedativum hatte die anhaltende Desinformation der Stromlobby über die Jahre auf die Wachsamkeit der Stimmberechtigten gewirkt. Propaganda und Wahlkampfunterstützung AKW-freundlicher Politiker liessen unsere Argumente in den Hintergrund treten. Die Warnung vor neuen Extremereignissen blieb ungehört.

Der Schock von Fukushima

Im März 2011 geschah es trotzdem: Die Katastrophe von Fukushima – ausgerechnet ein hoch entwickeltes, japanisches AKW. Jetzt bewegte sich etwas. Die zuständige UVEK-Bundesrätin wurde von der Atom-Doris zur Ausstiegspromotorin. Bundesrat und Parlament entschieden und bekräftigten rasch: AKW-Risiken sind untragbar, ein Ausstieg ist zwingend.

Vorwärtsstrategie ohne Zaudern

Während der letzte Woche abgeschlossenen Debatte im Nationalrat setzten sich die letzten «AKW-Fossile» nochmals in Szene. Weitgehend vergeblich! Lenkungsmassnahmen zur Effizienzsteigerung und die Förderung erneuerbarer Energien werden Wirtschaft und Gesellschaft einen Innovationsschub verleihen.

Laufzeit beschränken

Der Tatbeweis gegen die anhaltende AKW-Gefahr heisst Laufzeitbeschränkung. Diesen blieb der Nationalrat leider schuldig. Nur eine Laufzeitbeschränkung schafft Klarheit und Sicherheit für Investoren und Gesellschaft. Fukushima liegt erst dreieinhalb Jahre zurück. Doch die Anstrengungen der Desinformation entfalteten erste Wirksamkeit: Erste Politiker kamen ins Zaudern.

Jetzt gilt es trotzdem dran zu bleiben und Fakten zu schaffen, den Ausstieg möglichst zeitnah zu fixieren und gemeinsam diese drängenden Herausforderungen zu meistern. Der massiv unterdotierte Stilllegungsfonds und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle werden noch weitere Kraftakte verlangen. Der Entscheid liegt nun in den Händen des Ständrats: «Gring ache u seckle» und zwar «subito», nur so wird ein Sieg der Vernunft möglich.

08. Dez 2014