60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, 20 Millionen haben ihr eigenes Land verlassen müssen, weil sie dort an Leib und Leben bedroht und ihre Rechte mit Füssen getreten werden. Diese Menschen sind darauf angewiesen, dass die Staaten ihrer Zuflucht sie als Flüchtlinge respektieren. Ihr Schicksal hängt dabei in erster Linie davon ab, ob die Menschenrechte und vor allem die Rechte, die ihnen die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 garantiert, eingehalten werden.
In der Folge der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei und einer verschärften Abwehr des Flüchtlingsstroms im Mittelmeer wird es kaum zu vermeiden sein, dass die Genfer Flüchtlingskonvention zusehends ausgehöhlt wird. Sie wird verletzt, wenn schutzbedürftige Flüchtlinge der realen Möglichkeit beraubt werden, einen Asylantrag zu stellen oder kollektiv ohne individuelle Prüfung ihrer Fluchtgründe in Drittländer abgeschoben werden oder wenn Drittländer als sicher deklariert werden, ohne es zu sein. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Konvention als Garantin der Rechte von Flüchtlingen überhaupt ihre Bedeutung verliert.
Europäische Staaten wie Deutschland, die mit grossen Flüchtlingszahlen konfrontiert sind, bemühen sich noch, die Konvention formal einzuhalten. Die Schweiz ist vom grossen Flüchtlingsstrom bisher noch kaum betroffen. Der Bundesrat hält sich bisher konsequent an die Konvention und Bundesrätin Sommaruga engagiert sich für den Respekt dieser völkerrechtlichen Prinzipien und für gesamteuropäische Lösungen auch mit einer schweizerischen Beteiligung an einer Umverteilung von Flüchtlingen. Das ist sehr löblich.
Der Bundesrat hält sich bisher konsequent an die Konvention und Bundesrätin Sommaruga engagiert sich für den Respekt dieser völkerrechtlichen Prinzipien.
Trotzdem zeichnet sich auch in der Schweiz eine gefährliche Entwicklung ab, die die Rechte der Flüchtlinge zu beschneiden droht. Der Vorschlag des Bundesrates für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative spricht von einer «Obergrenze» für Flüchtlinge, ein auch in andern Ländern sehr umstrittener Begriff. Diese könnte zwar flexibel angewandt werden, falls andere Zuwanderungsgruppen entsprechend reduziert würden, um in diesem Konzept eine Obergrenze für die Gesamtzuwanderung zu garantieren. Doch die beiden SVP Bundesräte Maurer und Parmelin beabsichtigen bereits, dem Bundesrat für den «Fall einer besonderen Lage» die Schliessung der Grenze für Migranten zu beantragen. Und was seitens der SVP nach einem allenfalls erfolgreichen Referendum gegen die Reform des Asylgesetzes zu erwarten ist, kann man sich ausmalen: Abgrenzung, ihr bewährtes Rezept - das Flüchtlingselend findet «anderswo» statt, damit gilt: «Augen und Grenzen zu».
Hier braut sich eine Konfrontation zusammen, für die wir alle Kräfte des Anstands im Land, die sich am 28. Februar so erfolgreich den SVP-Durchsetzern entgegengestellt haben, wach halten müssen.
Einen kleinen Schritt habe ich in der «Berner Mechanik», wie Helmut Hubacher die Bundespolitik nannte, mit einem Vorstoss im Nationalrat am Ende der Frühlingssession unternommen. In einer Interpellation habe ich dem Bundesrat vier Fragen gestellt.
- Welche Möglichkeiten sieht der Bundesrat, sich auf internationaler Ebene aktiv für den Respekt der Genfer Flüchtlingskonvention einzusetzen?
- Kann sich der Bundesrat im Rahmen des Exekutivkomitees der UNHCR für eine entsprechende Resolution einsetzen?
- Kann der Bundesrat eine international anzuerkennende Bekräftigung der Geltung der Flüchtlingskonvention in die nächste UNHCR-Resolution der UN-Generalversammlung einbringen?
- Welche Möglichkeiten sieht der Bundesrat, den Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang der Flüchtlingskrise im Rahmen des Europarates zum Gegenstand einer entsprechenden Erklärung des Ministerkomitees zu machen?
Der Bundesrat wird mit seiner Antwort zeigen, ob und wie er bereit ist, sich auf internationaler Ebene für die Flüchtlingsrechte einzusetzen
In der Flüchtlingsfrage braut sich eine Konfrontation zusammen, für die wir alle Kräfte des Anstands im Land, die sich am 28. Februar so erfolgreich den SVP-Durchsetzern entgegengestellt haben, wach halten müssen.
Aber viel wichtiger ist, dass wir uns der Gefahr bewusst werden, dass die Rechtspopulisten auch bei uns, wie in vielen andern Ländern Europas, daran sind, die Bevölkerung gegen den Rechtsstaat, gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht aufzubringen. Es geht damit um viel mehr als nur um das Schicksal der Flüchtlinge, es geht um die Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens. Dieses beruht darauf, dass die Rechte des Individuums garantiert und respektiert werden. - Die Flüchtlingskrise ist der Prüfstein dieser Prinzipien. In ihr wird sich zeigen, ob es uns gelingt, sie erfolgreich zu verteidigen.