Die Schulkinder haben recht. Das Scheitern des CO2-Gesetzes im Nationalrat gehört zu den Tiefpunkten eidgenössischer Politik. Parlamentarische Handlungsunfähigkeit in der drängendsten Frage unserer Zeit ist eine Kapitulationserklärung. Kein Wunder treibt es Jugendliche auf die Strasse. Der Schweizer Klimaschutz braucht einen Neuanfang und eine Koalition der Vernunft. Damit ein Neustart im Ständerat gelingen kann, müssen sich alle Parteien um Lösungen bemühen, über ideologische Gräben springen und ein paar Grundsätze beachten.

Einsicht

Die Zeiten fauler Ausreden sind vorbei. Es geht nicht um die künftigen Generationen, es geht um die lebenden. Es geht nicht um unsichere Prognosen, sondern um Realitäten. Das Klimadesaster ist da. Wenn es sich verschärft und der Planet sich mehr als 1.5 Grad Celsius aufheizt, wird es ausser Rand und Band geraten. Dann werden Naturkatastrophen zunehmen. Sie werden weder modellier- noch versicherbar sein, werden Infrastruktur und Lebensgrundlagen weltweit der Zerstörung preisgegeben. Auch in der Schweiz. Sie kosten mehr als alle Abwehrmassnahmen, die wir treffen müssen und können.

Wer die Klimakatastrophe politisch abwenden will, muss aufhören an die Moral der Bevölkerung zu appellieren, sondern zielführende politische Vorschläge machen. Seit 40 Jahren erklärt die rechte Mehrheit des Parlamentes die Umweltprobleme mit dem Konsumverhalten der Leute und schiebt so elegant den schwarzen Peter an die Haushalte weiter. Es reicht. Die demonstrierenden Kinder haben recht. Gefragt sind jetzt mutige politische Entscheide. Wer an der Klimaerhitzung zweifelt und die Probleme ignoriert, kann nicht Teil der Lösung sein. Wir haben schlicht keine Zeit mehr, um auf die Berufsignoranten, die sich in der SVP und kurzsichtigen Lobbyorganisationen tummeln, zu warten.

Ziele setzen und verfolgen

Die Ziele sind klar. Sie sind im Klimaabkommen von Paris festgehalten. Die Schweiz hat sich dazu verpflichtet, erstens bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein (Art. 4, Abs. 1) und zweitens die Finanzflüsse diesem Ziel unterzuordnen (Art. 2, Abs. 1c). Die Pariser Ziele geben vor, dass die Schweiz im Inland netto bis spätestens 2050 null Prozent emittiert. Heruntergebrochen auf 2030 heisst das: höchstens 50% der CO2-Emissionen vor 1990. Daran gibt es eigentlich nichts zu deuteln. Aus ökologischer und ökonomischer Sicht gehören diese Langfristziele jetzt ins Gesetz geschrieben. Ein klares Bekenntnis, diese Ziele in der Schweiz erreichen zu wollen, ist Voraussetzung für die Lösung. Die Wirtschaft braucht Zeit, Vorlauf und klare Rahmenbedingungen, damit sie den Umstieg schaffen und am gleichen Strick ziehen kann.

Das CO2-Gesetz ist im Nationalrat nicht zuletzt an der Lobby-Arbeit von economiesuisse gescheitert. Denn der Dachverband der Wirtschaft hat sich zusammen mit der FDP in verantwortungsloser Weise um das Inlandziel foutiert. Als ob der globale Ausstieg gelingen könnte, wenn nicht alle Länder ihre Hausaufgaben machen. Die Schweiz muss den fossilen Ausstieg konsequent auch im eigenen Land an die Hand nehmen. Sie kann und soll ihn nicht im Ausland erkaufen. Wir sind als Volkswirtschaft, die jährlich Erdöl und Erdgas für rund 10 Milliarden Franken importiert, schlicht dumm, wenn wir unsere Investitionen vor allem für zweifelhafte Auslandzertifikate ausgeben und so unsere Abhängigkeit von fremdem Erdöl und Erdgas zementieren.

Jede technologische und gesellschaftliche Revolution kreiert Gewinner- und Verlierer-Nationen. Das gilt auch für die drängende Energiewende. Die Schweiz als Land, das keine fossilen Ressourcen aber grosses technologischen Knowhow besitzt, kann von dieser Revolution nur profitieren. Es sei denn, sie verpasst den Zug. Die Schweiz hat alle Möglichkeiten und Gründe, schnell voranzuschreiten.

Wichtiges zuerst

Den grössten Hebel in Sachen Energiewende hat die Schweiz als Finanzplatz. Leider sind Schweizer Banken, Versicherungen und Pensionskassen die grössten Klimaheizer der Nation. Sie zeichnen für schätzungsweise 20 Mal mehr CO2-Emissionen verantwortlich als alle Haushalte und Produktionsstätten zusammen. Allein schon deshalb ist klar, dass ein Gesetz zur Umsetzung des Klimaabkommens den Finanzmarkt einbeziehen muss. Hinzu kommt, dass wir es in Paris versprochen haben. Ein rasch zu erreichendes Minimalziel muss sein, dass der Schweizer Finanzplatz keine Projekte zur Extraktion von fossilen Brennstoffen mehr finanziert. Schon heute sind die Kohlestoffreserven in den globalen Öl-, Gas- und Kohlelagerstätten fünfmal grösser als die Menge, welche die Menschheit überhaupt noch verbrennen darf, wenn sie das Pariser Klimaziel erreichen will.

Es ist ökologisch wahnsinnig und ökonomisch selbstmörderisch, Geld zu investieren, um die verbrennbaren Kohlenstoffreserven gar noch zu vergrössern. Es mag radikal klingen, ist aus Sicht des Klimaschutzes aber eine absolut zwingende Forderung, solche  Finanzierungen in nützlicher Frist zu verbieten. Die klimaschädlichsten Kredite, Investitionen und Anlagen auszuschliessen, ist der erste Schritt, um eine zukunftsfähige Energieversorgung zu ermöglichen.

Der zweitgrösste Hebel ist der Verkehr. Der motorisierte Individualverkehr der Schweiz heizt das Klima heute stärker auf als unsere Häuser und Fabriken. Das effizienteste Mittel, um Verkehr klimaneutral zu organisieren, ist, ihn zu vermeiden. Die Raumplanungs- und Verkehrspolitik der letzten rund 40 Jahre hat aber genau dies nicht geschafft. Deshalb ist angesichts der Dringlichkeit des Klimaschutzes klar, dass jetzt alles daran gesetzt werden muss, den Verkehr möglichst rasch zu elektrifizieren und die erneuerbaren Stromquellen auszubauen. Das ist der erfolgversprechendste Weg zur Senkung der Klimagase in der Schweiz. Eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffe,  hohe Emissionsvorgaben an Autoimporteure und ein rascher Ausbau von Stromtankstellen sind dazu notwendige Massnahmen.

Bewährtes weiterführen

Das geltende CO2-Gesetz hat Erfolge gebracht. Dort, wo es regulierend ansetzte, sank der CO2-Ausstoss um rund zwei Prozent pro Jahr; so bei der Wirtschaft und den Gebäuden. Der Schlüssel dazu war die Brennstoffabgabe, welche der Bundesrat sukzessive anhob. Die Einnahmen wurden zu zwei Dritteln an Bevölkerung und Wirtschaft rückverteilt und zu einem Drittel für Gebäudesanierungen eingesetzt. Firmen konnten sich von der Abgabe befreien, wenn sie sich zu konkreten Senkungen ihrer Emissionen verpflichteten. So wurden in der Schweiz grosse Investitionen ausgelöst, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass in den letzten zehn Jahren rund 40'000 Arbeitsplätze in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien entstanden sind.

Die Brennstoffabgabe ist mit anderen Worten ein Erfolgsmodell. Es macht absolut Sinn, sie zur Zielerreichung Schritt für Schritt auszubauen. Sie muss aber durch höhere Gebäudestandards auch für Altbauten, die ihre Heizung ersetzen müssen, ergänzt werden. Hier wäre eine nationale Regulierung sowohl angemessen als auch verfassungskonform. Föderalismus in Ehren, aber angesichts der Dringlichkeit des Klimaschutzes macht Kantönligeist hier keinen Sinn.

Sozialverträglichkeit

Der einzige – aber wirklich einzige – Verdienst der SVP in der Klimadebatte lag darin, auf die Sozialverträglichkeit, sprich die Kosten der Klimamassnahmen, zu verweisen. Tatsächlich darf die Klimapolitik nicht dazu führen, dass Mittelstand und untere Einkommensschichten weiter finanziell unter Druck geraten. Die Folge daraus kann aber nicht sein, die Schweiz in der Abhängigkeit erdölexportierender Staaten und die Haushalte in Geiselhaft eines unberechenbaren Ölpreises gefangen zu halten. Die Schlussfolgerung muss im Gegenteil sein, gerade den wenig begüterten Haushalten den Ausstieg zu erschwinglichen Kosten zu ermöglichen und wirtschaftliche Härten mit flankierenden Massnahmen zu vermeiden.

Ein Weiter-wie-bisher entlastet den Mittelstand weder auf kurze und schon gar nicht auf lange Sicht. Im Gegenteil. Die modernen klimafreundlichen Technologien wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeige sind im Betrieb schon heute günstiger als Ölheizungen oder Benzinfahrzeuge und sie werden es mittelfristig auch in der Anschaffung sein. Insbesondere wenn die Politik die richtigen Zeichen setzt und den Zugang ermöglicht, vergünstigt und den Umbau der Infrastruktur entsprechend vorantreibt.

Frankreichs «gilets jaunes» haben gegen höhere Benzinpreise protestiert, weil sie sich diese schlicht nicht leisten können. Sie sind nicht bereit, die Budgetlücken zu stopfen, welche die Senkung der Reichensteuer hinterliess. Das ist völlig verständlich. Genau deshalb gilt es, die CO2-Abgaben nicht zur Finanzierung des Staatshaushalt einzusetzen, wie das Macron wollte, sondern an die Betroffenen rückzuverteilen oder gezielt in die Energiewende zu investieren. Genau das macht die Brennstoffabgabe und genau das müsste eine Treibstoffabgabe auch tun. Sie müsste zu einem grösseren Teil an die Verbraucher zurückfliessen und zu einem kleineren Teil die Elektrifizierung der  Mobilität fördern. So dass auch Familien und Gewerbetreibende mit tiefen Einkommen, die auf ihre Personenwagen angewiesen sind, sich Elektromobilität leisten können.

Wirtschaftsverträglichkeit

Economiesuisse, der Gewerbeverband und die SVP behaupten unablässig, dass hohe Energiepreise dem Wirtschaftsstandort Schweiz schaden. Das ist doppelt falsch. Erstens lässt es sich empirisch genau so wenig belegen, wie die Behauptung, dass hohe Löhne der Schweizer Wirtschaft schaden. Was bisher bekanntlich nicht der Fall war. Und zweitens hat das CO2-Gesetz schon bisher Lösungen für die Wirtschaft vorgesehen. So wurden die energieintensiven Unternehmen bei der CO2-Abgabe auf Brennstoffe ausgenommen und stattdessen zu energiesparenden Investitionen verpflichtet, die sich unter dem Strich für die Unternehmen sogar lohnten.

Solche Modelle sind auch bei Lenkungsabgaben im Verkehrs- oder Finanzbereich möglich. Denn selbstverständlich soll die Schweizer Wirtschaft gute Bedingungen vorfinden um die Energiewende zum Erfolg zu führen. Dafür braucht es aber klare Ziele und genügend Zeit zur Umstellung. Genau deshalb sind die Wenn-Dann-Modelle des Bundesrates ungeeignet. Dieser schlug vor, dass die Treibstoffimporteure je nach Zielerreichung bis zu 90% ihrer Kohlenstoffimporte über den Zukauf von CO2-Zertikaten kompensieren müssen. Mit einer solchen Vorgabe kann kein Betrieb seine künftigen Treibstoffkosten kalkulieren. Denn niemand weiss heute, wie rasch die Ziele erreicht und wie hoch die Kosten der Zertifikate sein werden.

Auch bei den Gebäuden schaffen die Wenn-Dann-Vorgaben des Bundesrates Unklarheit. Er stellt nationale Emissionsvorschriften für Altbauten in Aussicht, falls die Kantonsvorschriften nicht den nötigen Erfolg bringen. Das bringt maximale Planungsunsicherheit. Viel sinnvoller wäre, heute vorzugeben, welche Abgaben und Normen in 5, 10 oder 15 Jahren gelten. Mit transparenten, aber den Pariser Zielvorgaben folgenden, wachsenden Vorgaben lässt sich wirtschaften, wenn die Entwicklungen beobachtet und flankierende Massnahmen bei Bedarf getroffen werden.

Die Pariser Klimaziele sind für die Schweiz keine unmögliche Hürde. Die gute Nachricht heisst: die Schweiz ist gut aufgestellt für eine rasche Energiewende und einen griffigen Klimaschutz. Sie wird auf mittlere und lange Sicht davon profitieren. Was es braucht, ist politischer Wille und den Pioniergeist, mit dessen Hilfe die Schweiz schon mehr als einmal in die Zukunft marschierte. 

05. Feb 2019