Ganz ehrlich. Dieser Abstimmungskampf ist attraktiv. Wir dürfen uns im Vorfeld über Dinge auslassen, über die wir schon immer gerne herzogen. Zum Beispiel über Glanz und Gloria, oder die Brille der Moderatorin. Oder darüber, ob der Salzgeber uns das Nati-Spiel versalzen, und der Projer die Arena verbockt hat. Solche Diskussionen in der Arbeitspause, in den Online-Medien oder abends in der Beiz sind so schön, weil sie uns bei aller Kontroverse im Grunde verbinden. Die zentrale Abstimmungsfrage zu No-Billag ist aber eine ganz andere: Was heisst es eigentlich, wenn diese Diskussionen wegfallen?

Mein Bruder warnte mich: «Die No Billag ist die Mutter aller Abstimmungen. Wenn sie angenommen wird, wird die Schweiz in wenigen Jahrzehnten auseinanderbrechen wie jetzt die USA!» Er wohnt in New York und erlebt gerade hautnah, wie sich unversöhnliche Gräben auftun, wie Familien zerbrechen, wie Diskussionen eskalieren, wie politische Lager zum gleichen Thema von völlig unterschiedlichen Dingen sprechen. Das ist nicht nur die Schuld von Trump, der jede Brücke abreisst. Nein, es ist auch deswegen, weil es in Amerika keine gemeinsame Basis mehr gibt. Es gibt keine Faktengrundlage, auf der man eine Diskussion führen könnte. Selbst die Moderatoren-Brille ist kein Thema mehr. Jeder sendet und empfängt auf seinem eigenen Kanal. ‘Kompromiss’ gilt in den USA als Schimpfwort. 

Das ist gelebte No-Billag-Realität. 98% der amerikanischen Medien werden privat und immer stärker im Dienste einseitiger politischer Interessen geführt. Sie verbreiten vor allem Meinungen. Die Einseitigkeit geht soweit, dass viele Sender elementare Informationen bewusst unterschlagen. Seit Präsident Reagan die «fairness doctrine» abgeschafft hat, sind die Medien nicht mehr der Ausgewogenheit verpflichtet und die Qualität der Berichterstattung schwindet. Die Schweizer Version der «fairness doctrine» steht heute in Artikel 93, Absatz 2 der Bundesverfassung. Sie hält fest: «Radio und Fernsehen stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck». Dieser Absatz wird mit der No-Billag-Initiative ersatzlos gestrichen. Und das ohne auch nur den geringsten Grund.

Im selben Absatz steht noch ein anderer Satz, der unser Land zusammengeschweisst und stark gemacht hat, wie kaum ein anderer. Er ist der Kitt der viersprachigen Schweiz: «Radio und Fernsehen berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone». Auch das will die No-Billag-Initiative ersatzlos streichen. Für die Schweiz, die weltweit dafür bewundert wird, vier Kulturen zu vereinen, ist das absolut fatal. Woher soll ich erfahren, was im Tessin oder in der Romandie läuft, wenn kein Medium den Auftrag hat, darüber zu berichten? Privatsender werden diesen Job sicher nicht erledigen. Sie haben kein Geld für fremdsprachige Korrespondenten. Und wer berichtet den Genfern oder Baslerinnen über die Bündner Berglandwirtschaft, die wir subventionieren oder über die Walliser Volksbräuche, die uns faszinieren? Wie tönt eigentlich Rätoromanisch? Unsere Kinder werden uns das eines Tages fragen. Welcher Sender zeigt den Menschen in Zürich wie grossartig die Basler Fasnacht ist? Glaubt irgendjemand, in Zürich wollte man dafür bezahlen? Wie soll ein viersprachiges Land seinen Zusammenhalt finden, wenn schon ein einsprachiges Land wie die USA diesen ohne anständigen Verfassungsauftrag verliert?


Als ich zuletzt in New York war, stand Obama-Care zur Debatte. Dass es um Krankenversicherung ging, wusste ich. Was das Parlament aber genau beschlossen hatte, fand ich nicht heraus, obwohl ich meinen Finger an der Fernsteuerung fast wund drückte. Ich zappte von Sender zu Sender. Auf Fox-News schimpften sie wütend gegen den «wachsenden Sozialismus und dessen afrikanisch-stämmigen Anführer Barak Obama». Andere Kanäle machten sich satirisch über diese Kritikerinnen und Kritiker lustig. Auf allen Kanälen wollten sie mir aus voller Überzeugung ihren Senf präsentieren. Nur nicht wozu. Wer die Tagesschau oder das Echo der Zeit gewohnt ist, muss an amerikanischer Berichterstattung schlicht verzweifeln. «Ich vermisse in Amerika nichts mehr, als anständigen Rundfunk», sagt denn auch mein Bruder. «Schaut zu, dass ihr den in der Schweiz nicht auch vermissen werdet und stimmt Nein zu No Billag!» 
Dem ist im Namen der Schweiz nichts mehr beizufügen.

15. Feb 2018