Wer den Widerstand gegen die öffentliche Krankenkasse verstehen will, muss der Spur des Geldes folgen. Mindestens 2500 unnötige Stellen finanzieren wir über unsere Prämien. Lukrative Mandate und Verwaltungsratssitze stehen auf dem Spiel. Die privaten Krankenkassen veranstalten einen Pseudowettbewerb auf Kosten der Versicherten und verschleudern unsere Prämiengelder durch die millionenschwere Jagd auf «gute Risiken». Öffentliche Versicherungen wie AHV und Suva hingegen funktionieren vorbildlich und stellen das Wohl der Versicherten in den Mittelpunkt. Das ist auch bei der Krankenversicherung sinnvoll. Deshalb empfehle ich am 28. September ein Ja zur öffentlichen Krankenkasse.

Die Suva arbeitet innovativer und effizienter als ihre privaten Konkurrenten im Unfallversicherungsbereich. Sie hat tiefere Verwaltungskosten, macht die wirksamere Prävention und hat die innovativeren Behandlungsprogramme. Dürfen wir deshalb davon ausgehen, dass eine öffentlichrechtliche Krankenversicherung die Herausforderungen der Zukunft ebenfalls besser meistern würde als die heutigen privaten Krankenkassen? Ja, wir dürfen, und zwar aus drei Gründen:

Private Krankenkassen verschleudern Geld mit Werbung, Telefonmarketing und Bürokratie: Schikanen gegenüber Ärzten lassen deren Verwaltungskosten in die Höhe schnellen. Die Physiotherapeutinnen müssen mit zwei Systemen abrechnen, weil sich Santésuisse und Curafutura bei den Tarifverhandlungen nicht einigen konnten. Und der Kontrollapparat in den Kantonen und dem Bund muss ausgebaut werden, weil sich die Kassen immer eigenmächtiger gebärden.

Insgesamt bieten die Krankenkassen im Grundversicherungsbereich 300 000 Versicherungsprodukte an. Das ist nicht Wettbewerb, sondern Chaos.

Die totalen Kosten dieser Geldverschwendung dürften mehrere hundert Millionen Franken ausmachen. Die Krankenkassen inszenieren einen Pseudowettbewerb und verpassen die Innovation: Insgesamt bieten die Krankenkassen im Grundversicherungsbereich 300 000 Versicherungsprodukte an. Das ist nicht Wettbewerb, sondern Chaos. Kein Wunder, dass in den 18 Jahren, seit das Krankenversicherungsgesetz (KVG) in Kraft ist, von den Kassen kaum ein nennenswerter innovativer Beitrag auf der Behandlungsseite zu erwähnen ist.

Die Netzwerke wurden zur Risikoselektion missbraucht, statt sie für bessere Behandlungsprogramme zu nutzen. Die Krankenkassen lassen rund 2 Milliarden Franken Sparmöglichkeiten im Gesundheitswesen brachliegen: Werden beispielsweise Diabeteskranke in einem spezialisierten Netzwerk behandelt, spart das – sogar bei besserer Qualität – bis zu 20 Prozent der heutigen Kosten. Trotzdem wollte vor ein paar Jahren keine Krankenkasse im Kanton Waadt ein solches Netzwerk unter Vertrag nehmen. Wieso? Weil keine Krankenkasse für Diabeteskranke attraktiv sein will. Kranke sind immer teurer als Gesunde. Daran ändert auch der beste Risikoausgleich nichts. Jede Versicherung trachtet danach, möglichst viele zahlende Versicherte und möglichst wenig zu finanzierende «Schadenfälle» zu haben. Und deshalb investiert keine Kasse dort, wo wir mit besserer Behandlung wirklich Geld sparen könnten – bei den schwerkranken Menschen.

Die Kampagne der Gegner ist ärgerlich, wahrscheinlich widerrechtlich und überraschend. Ärgerlich sind die mindestens 5 Millionen Franken, die in Inserate und Plakate gesteckt werden, finanziert durch unsere Prämiengelder. Wahrscheinlich widerrechtlich ist sie, weil die Versicherungen gegen die gesetzliche Vorgabe der ausgewogenen Information verstossen. Wohl nicht ohne Grund griffen sie deshalb zur Bekämpfung der entsprechenden Klagen nicht auf die hausinternen Rechtsdienste zurück, sondern mandatierten die renommiertesten Anwaltskanzleien.

Und überraschend ist das Hauptargument der Gegner: Die Gesundheitsversorgung in der Schweiz sei gut. Dieser Befund wird von niemandem bestritten, nur bleibt die Frage unbeantwortet, was die Krankenkassen zu dieser guten Versorgung beitragen. Man ist versucht zu sagen, die Versorgung ist nicht wegen, sondern trotz den Versicherungen gut.

Niemand will sein Brot in einer Staatsbäckerei kaufen. Aber wenn wir am Morgen in den Zug steigen, sind wir froh, dass die Bahnen durch das öffentlichrechtliche Unternehmen SBB betrieben werden.

Liest man den Jahresbericht der Ombudsstelle der Krankenversicherungen oder hört man sich bei den Sozialämtern der Gemeinden oder bei Organisationen wie der Pro Senectute um, hört man reihenweise Klagen über die Krankenversicherungen: widerrechtlich abgelehnte Kostengutsprachen und verzögertes Auszahlen von Vergütungen sind die zwei häufigsten. Eine erfahrene Hausärztin meinte kürzlich an einer Diskussionsveranstaltung: «Schlimmer kann es nicht werden. Ich stimme dieser Initiative zu.» Wie schlecht muss eine Branche arbeiten, um sich solches sagen zu lassen? Oder können die Versicherungen gar nicht bessere Arbeit leisten, weil der Pseudowettbewerb falsche Anreize schafft?

Niemand will sein Brot in einer Staatsbäckerei kaufen. Aber wenn wir am Morgen in den Zug steigen, sind wir froh, dass die Bahnen durch das öffentlichrechtliche Unternehmen SBB betrieben werden. Die Gebäudeversicherungen in den 19 Kantonen, die auf eine Privatisierung verzichtet haben, haben durchschnittlich um 40 Prozent tiefere Prämien als ihre privatisierten Kollegen. Und bei der AHV sind unsere Renten sicherer als bei den privaten Pensionskassen. Selbst bei der Privatisierung des Telekommarktes hat man sich auf drei Konzessionen beschränkt. Wir wissen alle: Es gibt Leistungen, die wir selbstverständlich auf dem privaten Markt beziehen möchten. Aber es gibt auch Leistungen, die von öffentlichrechtlichen oder staatlichen Instituten erfolgreicher und effizienter erbracht werden als von privaten Anbietern.

Die meisten Bürgerlichen mögen darüber nicht diskutieren. Sie sind in der Ideologiefalle gefangen. Die freisinnige Ständerätin Christine Egerszegi und der freisinnige Alt-Nationalrat und Alt-FPD-Präsident Franz Steinegger sind die Ausnahmen. Die Spur des Geldes führt nicht zu ihnen.

18. Sep 2014