Durch Hochdeutsch wird die Mundart weder aus dem Alltag noch aus dem Kindergarten verbannt. Die Deutschschweizer Identität verkümmert nicht. Lassen wir den Kindern die Freude an der Vielfalt. Fördern wir ihre Sprachlust, ob Mundart oder Hochdeutsch. Sprachkompetenz ist für eine erfolgreiche Schulkarriere entscheidend.

Buben und Mädchen lieben Rollenspiele. Im „Chindsgi“ tun sie dies unbekümmert. Sie spielen, was sie am Fernsehen gesehen haben. Nachahmung ist in diesem Alter Lernen und Spiel zugleich. Kinder wachsen mit der deutschen Sprache auf, sie ist ihnen nicht fremd. Sie schlüpfen in Rollen und sprechen so wie die Kinder im Film oder wie die Leute am Fernsehen. Sie stellen spielerisch auf Hochdeutsch um, wenn sie die Nachrichtensprecherin nachahmen oder sich besonders wichtigmachen wollen. Ob im Sandhaufen oder beim „Bäbele“, Hochdeutsch gehört zum normalen Repertoire eines Kindergartenkindes. Sie sind stolz auf ihre Sprachkenntnisse. Warum soll diese spielerische Sprachentwicklung im Kindergarten nicht unterstützt werden?

Die Mundart wird im Kindergarten zu Recht gepflegt. Der Streitpunkt ist, ob zusätzlich auch Hochdeutsch gesprochen oder ob diese Sprache der Schule vorbehalten sein soll. Hochdeutsch hat einen formellen Anstrich. Es ist die Sprache der Schriftlichkeit, auch für formale Reden und Ansprachen. In der Mundart fühlen wir uns freier. Jugendliche benutzen sie gerne für SMS. Sie schätzen es, frei und ohne Rechtschreibregeln zu schreiben. Dialekt ist hoch im Kurs, die Mundart populär. Es besteht also keine Gefahr, dass die helvetische Identität bedroht würde, wenn im Kindergarten neben der Mundart auch Hochdeutsch gepflegt wird. Dadurch wird das Kindsein nicht getrübt und auch Gefühle lassen sich in beiden Sprachen ausdrücken. Hochdeutsch und Mundart sind zwei Varietäten der gleichen Sprache. Beide gehören zu unserem Kulturraum.

Oft wird eine ungenügende Sprachkompetenz bei Jugendlichen bemängelt. Deutsch müsse wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Mit einem Verbot von Hochdeutsch im Kindergarten würde auf eine frühe Sprachförderung verzichtet. Zusätzlich würde der Übertritt in die Primarschule unnötig erschwert. Dort wird nur noch Hochdeutsch gesprochen, gelesen und geschrieben. Fremdsprachige Kinder würden unter Umständen erst in der Schule mit Hochdeutsch konfrontiert. Das wäre negativ für ihre Sprachentwicklung und könnte zu Mehrkosten führen.

Durch Hochdeutsch wird die Mundart weder aus dem Alltag noch aus dem Kindergarten verbannt. Die Deutschschweizer Identität verkümmert nicht. Lassen wir den Kindern die Freude an der Vielfalt. Fördern wir ihre Sprachlust. Sprachkompetenz ist für eine erfolgreiche Schulkarriere entscheidend.

Viele Erwachsene haben keinen lockeren Umgang mit der Schriftsprache. Sie fühlen sich unwohl damit. Für sie ist Hochdeutsch ein Stück weit Fremdsprache oder Pflicht. Hochdeutsch wird dann gesprochen, wenn qualifiziert wird: im Unterricht, bei Vorträgen, in den Medien oder bei offiziellen Anlässen. Diese Verknüpfung trübt unsere Sprachfreude. Ganz anders die Buben und Mädchen im Kindergartenalter. Sie haben keine Berührungsängste und sprechen im Spiel unbekümmert hochdeutsch. Wenn wir diese Sprache aus dem Kindergarten verbannen, dann verwehren wir unseren Kindern den unverkrampften Zugang zum Hochdeutsch. 

02. Sep 2014