Frontex ist die Grenzschutzagentur der Europäischen Union und wurde 2005 gegründet. Seither wurde ihr Budget um 7000 % – von 6 Millionen Euro (2005) auf 5.6 Milliarden Euro (von 2021 bis 2027) – erhöht. Am 15. Mai 2022 soll die Schweizer Bevölkerung darüber entscheiden, ob der Schweizer Beitrag an Frontex von rund 24 auf 61 Millionen Franken erhöht werden soll.

Der Bundesrat, Wirtschaftskreise und ein Teil der Massenmedien versuchen es uns glaubhaft zu machen, dass die Schweiz im Falle eines Neins am 15. Mai vom Schengen-Abkommen ausgeschlossen würde. Eine Ablehnung würde jedoch bei weitem nicht zu einem Ausschluss führen, sondern es dem Schweizer Parlament lediglich ermöglichen, die Kontrolle über das Dossier zurückzugewinnen. Danach könnte man ein Gesetz vorschlagen, dass die Menschenrechte besser respektiert. Denn die Schweiz könnte ihre Beteiligung an dieser Agentur durchaus an Bedingungen knüpfen. Dies gilt umso mehr, weil die Forderungen des Referendumskomitees von den europäischen Parlamentarier:innen aller Parteien weitgehend unterstützt und geteilt werden. Umso mehr, es droht heute keine europäische Regierung der Schweiz mit solchen Konsequenzen, weil die Europäische Union kein Interesse daran hat, dass die Schweiz – im Herzen des Kontinents – aus Schengen austritt. Besonders weil Schengen ein Instrument der gegenseitigen Sicherheitszusammenarbeit ist.

Nein, die Frage, die das Referendumskomitee stellt, ist sehr einfach. Es geht darum, zu entscheiden, ob die Agentur Frontex, so wie sie heute funktioniert, mit unserer Verpflichtung, Menschen, die vor Verfolgung fliehen eine würdige und humane Asylpolitik zu bieten, vereinbar ist. Die Antwort lautet für uns eindeutig «Nein». Anstatt Menschen in Notsituationen bei ihrer Ankunft zu schützen und sie in die dafür vorgesehenen Strukturen zu begleiten, beteiligt sich Frontex direkt oder indirekt an illegalen Abschiebungen und Menschenrechtsverletzungen, die im Widerspruch zu unseren humanistischen Werten und dem Völkerrecht stehen.

Die Verletzung der Grundrechte von Migrant:innen in Griechenland durch Frontex wurde ausführlich von NGOs angeprangert. Dasselbe gilt für die Operationen in Ungarn zur Rückführung von Migrant:innen, trotz eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union, das diese als unvereinbar mit dem europäischen Recht einstuft. Viele der als «Ausreiseverhinderung» bekannten Operationen sind in Wirklichkeit illegale Abschiebungen in Länder wie Libyen, die des Menschenhandels, der Folter und willkürlicher Inhaftierungen beschuldigt werden.

Es gibt immer mehr Zeugenaussagen und Berichte über völlig unangemessene Praktiken, Gewalt, sowie illegale und erniedrigende Behandlung von Migrant:innen. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung hat Belästigungen, Fehlverhalten und die schleppende Einstellung von Schutzbeamt:innen, die so dringend nötig wären, aufgedeckt. Das Europäische Parlament, sowie wie das Referendumskomitee in der Schweiz, ist sehr besorgt über diese Situation. Aus diesem Grund hat es beschlossen, 12% des Budgets der Institution einzufrieren. Die Situation innerhalb der Agentur ist so chaotisch, dass der Chef der Agentur, Fabrice Leggeri, schliesslich seinen Rücktritt eingereicht hat, sehr zur Erleichterung der europäischen Entscheidungsträger:innen. Denn abgesehen von den illegalen Praktiken entspricht die Arbeitsweise dieser Agentur schon lange nicht mehr den Mindeststandards für eine verantwortungsvolle Führung.

Ein NEIN zur Erhöhung der Schweizer Beteiligung an Frontex bedeutet nicht, sich von der Europäischen Union abzugrenzen, sondern im Gegenteil, sich aktiv an der europäischen Debatte darüber zu beteiligen, wie wir die Migrationsströme begleiten wollen. Wir sind der Ansicht, dass das Recht einer verfolgten Person, in unseren Ländern einen Asylantrag zu stellen gewährleistet werden muss. Eine Festung um Europa herum zu errichten, ohne einen offiziellen Weg für die Stellung von Asylanträgen zu ermöglichen, z. B. über unser Botschaftsnetz, ist nicht akzeptabel und gefährdet unsere Werte sowie das Völkerrecht. Die vorrangige Aufgabe von Frontex besteht darin, die Grenzen des Kontinents vor illegalem Handel und Kriminalität, einschließlich Wirtschaftskriminalität, zu schützen. Die Aufgabe darf nicht darin bestehen, die Ankunft von Asylsuchenden zu blockieren, indem sie ihr Leben in Gefahr bringt.

Wir fordern, dass Frontex sich in seiner Arbeitsweise an den Grundsatz hält, dass jede schutzsuchende Person einen Asylantrag in der Schweiz stellen kann. Es geht um unsere demokratischen Werte, die Grundrechte und den Rechtsstaat respektieren. Es geht auch um die Kohärenz gegenüber dem internationalen Recht, das sowohl in der Ukraine als auch in der Schweiz verteidigt werden muss.

Stimmen wir Nein zur Erhöhung der Finanzierung von Frontex.

 

Unterzeichner:innen des offenen Briefs:

droitsfondamentaux.ch,

Droit de Rester Neuchâtel,

Forum civique,

NoFrontex Referendum,

Solinetz Zürich,

Les VERT-E-S Section Jura,

Sibel Arslan (Nationalrätin, BS, les Vert.e.s),

Gabriel Barta (Mitglied der Kommission Migration und Internationales Genf, SP),

Élisabeth Baume-Schneider, Conseillère aux Etats (Jura, PS),

Samuel Bendahan (Conseiller national, VD),

Brigitte Berthouzoz (Membre du comité, Ligue suisse des droits de l›homme, Genève),

Philippe Borgeaud (Professeur honoraire, Université de Genève),

Apyio Brändle-Amolo (Gemeinderat, Schlieren, SP),

Florence Brenzikoger, (Nationalrätin, BL, Grüene),

Thomas Bruchez (Vice-président de la Jeunesse socialiste suisse),

Oriana Bruecker (Gemeinderätin, Genf, SP),

Maryelle Budry (Conseillère municipale, Ensemble à Gauche, GE),

Marie-Claire Calloz-Tschopp (Collège internationale de Philosophie, Genève),

Carine Carvalho Arruda (Députée au Grand Conseil vaudois),

Cathy Day (Présidente Ligue suisse des droits de l›homme, Genève),

Christophe Clivaz (Conseiller national, Les Verts, VS),

Giada de Coulon, (Comptoir des médias, Vivre Ensemble),

Graziella de Coulon (Collectif Droit de Rester Lausanne),

Brigitte Crottaz (Conseillère nationale, VD, PS),

Christian Dandrès (Nationalrat, Genf, SP),

Emmanuel Deonna (Grossrat, Genf, SP),

Marianne Ebel (Présidente, Marche mondiale des femmes, Suisse),

Pierre Eckert (Député, GE, Les Verts),

Kurt E"er (Nationalrat TG, Grüene),

Ricardo Espinosa (Directeur IAHRA, Genève),

Laurence Fehlmann Rielle (Conseillère nationale, GE, PS),

Pierre-Alain Fridez (Conseiller national, Jura, PS),

Anna Gabriel Sabate (Secrétaire régionale Unia Genève),

Wahba Ghaly (Gemeinderat, Vernier, SP),

Yan Giroud (Co-président de la section vaudoise de la Ligue suisse des droits de l’homme),

Balthasar Glaettli (Nationalrat, ZH, Grüene),

Sophie Guignard (Secrétaire générale de Solidarités sans frontières),

Christian Huber (Präsident GRÜNE Stadt und Region St.Gallen),

Baptiste Hurni (Conseiller national, NE, Les Verts),

Ronja Jansen (Präsidentin, JUSO),

Delphine Klopfenstein-Bro"ini (Conseillère nationale, Les Vert·e·s, GE),

José Lilo (Auteur, acteur & metteur en scène),

Raphaël Mahaim (Conseiller national, Vaud, Les Vert·e·s),

Sophie Malka (Comité de Vivre Ensemble),

Ada Marra, (Conseillère nationale, VD, PS),

Aude Martenot (Députée, Ensemble à Gauche, GE),

Samira Marti (Nationalrätin, BS, SP),

Lisa Mazzone (Conseillère aux Etats, Les Vert·e·s, GE),

Jean-Marie Mellana (Vorstand SP Stadt Genf),

Sophie Michaud Gigon (Conseillère nationale, PS, VD),

Marc Morel (Membre du comité, Ligue suisse des droits de l›homme),

Nicolas Morel (militant PS, Lausanne),

Ilias Panchard (Conseiller communal, Lausanne, Les Verts),

Isabelle Paquier-Eichenberger, (Conseillère nationale, GE, Les Vert·e·s),

Alexis Patino, (Groupe Migration UNIA Genève),

Kaya Pawlowska (Projektbeauftragte, SP Schweiz),

Valerie Piller-Carrard (Conseillère nationale, Fribourg, PS),

Katharina Prelicz-Huber (Nationalrätin ZH, Grüene),

Stéfanie Prezioso, (Conseillère nationale, GE, Ensemble à Gauche),

Denis de la Reussille (Conseiller national, NE, Parti ouvrier Populaire/Parti du Travail),

Jérôme Richer (auteur et metteur en scène),

Jean-Charles Rielle (Député au Grand Conseil, GE, PS),

Carol Scheller (Comité unitaire No Frontex, GE),

Marionna Schlatter (Nationalrätin, ZH, Grüene),

Tobia Schnebli (Präsident der Partei der Arbeit, Genf),

Mireille Senn (militante syndicale et des droits humains),

Carlo Sommaruga (Conseiller aux Etats (PS, GE),

Florio Togni (Président, Stop Exclusion, GE),

Michael Töngi, (Nationalrat, Grüene, LU),

Helena Verissimo de Freitas (Secrétaire régionale adjointe Unia Genève),

Nina Vladovic, (Präsidentin Migrationskommission VPOD),

Nicolas Walder (Nationalrat, Genf, SP),

Felix Wettstein (Nationalrat GRÜNE Solothurn),

Alexandre Winter (Pasteur de l›église protestante de Genève),

Samson Yemane (Gemeinderat, Lausanne),

Jean Ziegler (ehemaliger Nationalrat, Genf)

10. Mai 2022