Seit rund zwanzig Jahren betreibt die Schweiz – ausgelöst durch die Annahme der Alpeninitiative im Jahr 1994 – eine erfolgreiche Verlagerungspolitik. Massnahmen wie die Einführung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) oder der gezielte Ausbau des Schienennetzes haben die Schweiz in ganz Europa zu einem Vorbild in Sachen nachhaltigem Gütertransport gemacht. Mit Blick auf die Güterverkehrsentwicklung in Europa wird das klar und eindeutig, selbst wenn wir das Verlagerungsziel von maximal 650`000 alpenquerenden Lastwagenfahrten noch nicht erreicht haben.

Immer wieder erntete die Schweiz in Europa Lob für ihre Verlagerungspolitik. Diese Lorbeeren kommen nicht von ungefähr. In keinem anderen Land werden so viele Güter auf der Schiene transportiert. Gemäss dem Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (LITRA) wickelte die Schweiz im Jahr 2012 63,5 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene ab. In Österreich lag dieser Anteil bei 28,6 Prozent und in Frankreich gar nur bei 9,4 Prozent.

Seit zwanzig Jahren behauptet sich die Schweiz gegenüber der EU und verfolgt einen eigenständigen Weg der Verkehrspolitik, teilweise auch gegen deren grosse Widerstände. Mit dem Bau einer zweiten Strassenröhre am Gotthard wäre die ganze Glaubwürdigkeit, welche unser Land in Brüssel geniesst, mit einem Schlag dahin. Dieses Signal gefährdet in seiner Konsequenz die gesamte Güterverlagerungspolitik.

Der Schweiz droht darüber hinaus aber auch rechtlicher Ärger mit der EU. Markus Kern, Oberassistent am Institut für Europarecht der Universität Freiburg, kommt in einem Gutachten zum Schluss, dass es problematisch werden könnte, zwei Tunnels zu betreiben und lediglich zwei Spuren zu öffnen. Das Landverkehrsabkommen mit der EU basiert nämlich auf dem Ansatz des freien Strassenverkehrs. Demzufolge dürften keine Massnahmen ergriffen werden, um den Verkehr übermässig einzuschränken.

Markus Kerns Schlussfolgerung ist ernüchternd: Öffne man alle Fahrspuren, verletze man den Alpenschutzartikel der Bundesverfassung. Sperre man aber bestehende Fahrspuren künstlich, verletze man das Landverkehrsabkommen. Es erstaunt mich sehr, dass der Bundesrat in diesem Fall eine Konfrontation mit der EU in Kauf nimmt und vorgängig alle Trumpfkarten selbst verspielt.

Umgekehrt verhält sich unsere Regierung bei der Umsetzung der Alpentransitbörse. Hier bekommen Volk und Parlament seit Jahren zu hören, dass eine Börse gemäss Landverkehrsabkommen nicht umsetzbar sei und damit basta.

Auch Dieter Freiburghaus, emeritierter Professor für Europapolitik, ist skeptisch und befürchtet Streitigkeiten mit der EU. Seiner Ansicht nach müsste der Bundesrat das Landverkehrsabkommen von vornherein neu aushandeln, ehe er eine zweite Röhre mit zwei Spuren baut. Sollen wir dieses Wagnis wirklich für eine zweite Gotthardstrassenspur in Kauf nehmen, die notabene gar nicht bzw. nur bei Pannen zum Einsatz kommen soll? Wenn schon eine Neuaushandlung des Landverkehrsabkommens mit der EU, dann für eine nachhaltige Verkehrspolitik mit Instrumenten wie zum Beispiel der Alpentransitbörse.

Eine zweite Gotthardröhre schadet also der Verlagerungspolitik und den Beziehungen der Schweiz zu Europa. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns stets für eine ökologische Verkehrspolitik eingesetzt, und wir stehen für gute Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn ein. Deshalb sagt die SP Nein zu einer zweiten Strassenröhre am Gotthard.

07. Okt 2014