Weltweit sind heute 60 Millionen Menschen auf der Flucht, ein Drittel von ihnen musste ihr Heimatland verlassen. Heute spielt sich die grösste Flüchtlingstragödie seit dem Zweiten Weltkrieg ab. Nur wenige dieser Menschen haben es bis nach Europa geschafft, in den letzten zwei Jahren etwa anderthalb Millionen. Aber allein schon diese – im Vergleich zur globalen Völkerwanderung – geringe Zahl von Menschen, hat die europäische Politik und ihre Institutionen erschüttert.
Nachdem der Zustrom von Flüchtlingen auf der Balkanroute durch drastische Massnahmen eingedämmt worden ist, nimmt die Flüchtlingszahl auf dem Weg über das Mittelmeer zu. Allein seit Beginn dieses Jahres sind von hier über 180'000 Menschen nach Europa gekommen. Weitere Hunderttausende von Flüchtlingen, die in Nordafrika blockiert sind, hoffen auf eine Chance, es auch noch zu schaffen. Die Flüchtlingskrise auf dem Mittelmeer wird sich verschärfen. Allein im letzten Jahr hat die gefährliche Fahrt 3700 Menschen das Leben gekostet.
Das Eintreten für eine menschenwürdige Aufnahme der Flüchtlinge provoziert den Vorwurf, dass wir die Menschen in Afrika dazu ermuntern, von ihrem Elend ins verheissende Europa aufzubrechen. Deshalb will sich die Festung Europa noch stärker abschotten.
Im Mittelmehr lassen sich Landesgrenzen nicht leicht kontrollieren. Und mit den nordafrikanischen Staaten ist ein Rückschaffungsdeal wie jener mit der Türkei kaum machbar. Dieser Zustrom dürfte unser Land viel stärker betreffen als bisher jener auf der Balkanroute. Bern arbeitet bereits an entsprechenden Krisenszenarien.
Das Flüchtlingsproblem spaltet unsere Gesellschaften. Einem breiten Engagement zivilgesellschaftlicher Flüchtlingshilfe steht ein wachsender Rechtpopulismus gegenüber, der erfolgreich die Ängste der Bevölkerung mit fremdenfeindlichen Parolen bedient. Brüssel und die europäischen Regierungen setzen alles daran, den Flüchtlingsstrom auf ein innenpolitisch verkraftbares Mass zu reduzieren und gleichzeitig die Binnengrenzen der EU offen zu halten: Das heisst Schengen retten und dafür die Kontrollen an der EU-Aussengrenze ausbauen. Das verlangt auch eine Lösung für den innereuropäischen Verteilungsschlüssel. Ob das alles gelingen wird, ohne dabei die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention auszuhöhlen, wenn nicht überhaupt offen zu verletzen, ist sehr fraglich.
Was können wir tun? Für mich geht es um drei Ziele: Erstens um den Respekt der Menschenrechte und der Flüchtlingskonvention, zweitens um gesamteuropäisch solidarische Lösungen und drittens um die Stärkung der gesellschaftlichen Akzeptanz, um möglichst viele Flüchtlinge retten und aufnehmen zu können. Wenn wir dabei als Sozialdemokraten etwas erreichen wollen, geht es nicht nur darum, gesinnungsethisch Recht zu haben, sondern vor allem darum, uns verantwortungsethisch für politisch tragfähige Lösungen einzusetzen, um Recht zu bekommen. Innenpolitisch tun wir das in der gemeinsamen Front mit der bürgerlichen Mitte für die Asylgesetzabstimmung am 5. Juni. Aussenpolitisch gilt es, die solidarische Politik unserer Bundesrätin in der Zusammenarbeit mit den progressiven Parteien der EU besser abzustützen. Auch dazu dient unsere gemeinsam mit der PES* organisierte Konferenz am 21. Mai.
* Die „Party of European Socialists“ (PES) umfasst 32 sozialdemokratische und sozialistische Parteien sowie Arbeiterparteien aus der gesamten Europäischen Union und aus Norwegen sowie weitere assoziierte Parteien aus mehreren anderen europäischen Ländern und der Türkei. Die SP ist bis heute assoziiertes Mitglied und beabsichtigt, der PES als Vollmitglied beizutreten.