Die Schweiz steht kurz vor der Vollendung eines Jahrhundertwerks. In zwei Jahren wird mit dem Gotthardbasistunnel der längste Eisenbahntunnel der Welt in Betrieb genommen. Voraussichtlich Ende 2019 wird auch der Ceneri-Basistunnel befahrbar sein. Zusammen mit dem 2007 eröffneten Lötschbergtunnel wird die NEAT dem schweizerischen Bahnsystem einen Quantensprung bescheren.

Mit der Eröffnung des Gotthardbasistunnels wird die Verbindung Zürich-Luzern-Tessin so schnell sein wie noch nie zuvor. Gleichzeitig können dann viel mehr Güter auf der Schiene durch die Alpen transportiert werden als heute. Einen weiteren Schritt vorwärts macht die Verlagerungspolitik, wenn 2020 der 4-Meter-Korridor auf der Nord-Süd-Achse eröffnet wird. 

Ein solches Grossprojekt verlangt entsprechende Investitionen. 24 Milliarden Franken kostet das ganze NEAT-Projekt mit drei Basistunnels und den Zulaufstrecken – die Zürcher Durchmesserlinie kostet «nur» 2 Milliarden, die Genfer CEVA wird 1,5 Milliarden kosten. 

Über 20 Milliarden Franken für die Alpentransversalen – eine solche Investition würde jedes Unternehmen dieser Welt sorgfältig hüten. Nicht jedoch der Bundesrat, bürgerliche Parteien und die Autolobby. Mit dem Bau einer zweiten Röhre durch den Gotthard wollen sie bewusst das Risiko eingehen, die Wirkung der NEAT zu sabotieren. Denn machen wir uns nichts vor: Sobald am Gotthard zwei Strassentunnel zur Verfügung stehen, wird der Ruf laut, alle vier Spuren zu öffnen. 

Für die Wirtschaft ist der Bau einer zweiten Röhre deshalb ein falsches Signal. Statt vermehrt Güter mit der Bahn zu transportieren, werden die Unternehmen im Status quo verharren – und dies bei enorm wachsenden Gütervolumen. Berechtigterweise dürften Industrie und Handel davon ausgehen, dass dereinst noch mehr Güter auf der Strasse durch den Gotthard transportiert werden können als heute. 

Für die Bahnunternehmen könnte dies fatale Folgen haben: Arbeitsplätze bei der SBB, der BLS, bei Hupac und RAlpin und anderen würden gefährdet. In einem ersten Schritt kämen die Löhne unter Druck. Schon heute sind die Arbeitsbedingungen der Bahnangestellten durch Dumpinglöhne der LKW-Fahrerinnen und -Fahrer prekär. Ein Beispiel: Im Frühling dieses Jahres reichte der SEV eine vorsorgliche Anzeige beim Bundesamt für Verkehr ein. Das Bahnunternehmen Crossrail hatte 70 Lokführern in Brig eine Stelle angeboten - zu einem Monatslohn von 3350 Franken. Das ist mehr als 2000 Franken weniger als in der Schweiz üblich ist. 

Längerfristig wären viele Arbeitsplätze bei den Bahnunternehmen dem Untergang geweiht. Die Betroffenen hätten Mühe, neue Stellen zu finden. Viele von ihnen sind hoch spezialisiert und Arbeitgeber in diesem Sektor sind naturgemäss dünn gesät. 

Eine zweite Röhre ist schädlich für die NEAT. Sie sabotiert ein Jahrhundertwerk und gefährdet Arbeitsplätze. Kein Unternehmen auf der Welt würde so handeln. Auch der Staat hat mit den öffentlichen Finanzen verantwortungsbewusst und weitsichtig umzugehen. Alternativen zur Sanierung des in die Jahre gekommenen Strassentunnels sind vorhanden. Auch während der Sanierungsperiode kann der Transport von Menschen und Waren durch den Gotthard gesichert werden. 

Der SEV, die Gewerkschaft des Verkehrspersonals, stellt sich daher entschieden gegen den Bau einer zweiten Gotthardstrassenröhre - im Interesse einer zukunftsgerichteten Verkehrs- und Umweltpolitik, welche uns Menschen und unsere natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt stellt.

07. Okt 2014